Matthias Wenger

Thiele, Wolfgang / Knorr, Herbert: Der Himmel ist unter uns, Bottrop 2003

Meine Einwände nach Abschluß

der Lektüre unter Berücksichtigung von Diskussionen mit Uwe Topper

Eine kritische Rezension

 

1 . Die gefundenen Bodensternbilder geben die tatsächlichen Konstellationen nur sehr verzerrt wieder (Man vergleiche einmal die Abbildungen in dem Buch von Herrmann 2001 mit den Abbildungen bei Thiele / Knorr).

2. Es erscheint fragwürdig, wenn die Sichtbarkeitsverhältnisse nicht im Einklang mit der geographischen Lage der Anlage selbst stehen.

Die Suche nach dem tatsächlichen Beobachtungsort des abgebildeten Himmelsausschnitts (30 Grad n.Br.) folgt dem Prinzip des zwangsläufigen Beweises. Wäre es nicht der Punkt 30 Grad n.Br. gewesen, hätte man solange nach einem anderen Ort gesucht, bis der passende gefunden worden wäre. Die Theorie ist also stets nur beweisbar, jedoch nicht falsifzierbar.

3. Kultstättenkontinuität ausschließlich über Kirchen zu definieren, die megalithische Kultstätten ersetzt haben sollen (wie im vorliegenden Fall behauptet), widerspricht in ihrer historiographischen Radikalität dem Wissen über alle anderen megalithischen Regionen. Dort haben wir z.B. einen Steinkreis und drei Kilometer weiter eine oder mehrere uralte Dorfkirchen (Beispiele: Mecklenburg oder etwa die Bretagne). Die Aussage, daß eine Kirche mit Baujahr minus 1300 automatisch eine verschwundene megalithische Anlage markiert, ist eine Monomanie.

4. Das Zentrum Europas ist so dicht besiedelt (historisch + prähistorisch), dass sich über Bauwerke, historische Anekdoten und etymologische Spekulationen fast immer und überall Anhaltspunkte für kultische Stätten finden lassen.

5. Die meisten Sternbilder bilden derart einfache lineare Strukturen, dass sie sich in zahlreichen zweidimensionalen graphischen Systemen wiederfinden lassen.

6. Selbst bei einer formalen Übereinstimmung resultiert daraus noch keine intentionale Identität hinsichtlich des Bedeutungsgehalts und des Sinnzusammenhangs - wie das Beispiel der Symbol- und Schriftgeschichte zeigt.

7. Die primäre Konzentration auf ein begrenztes geographisches Gebiet (Sauerland, südliches Westfalen) evoziert ein geschlossenes Wahn- und Beziehungssystem, das durch einen lokalpatriotischen Affekt präjudiziert ist.

Die Suche nach immer neuen Sinnzusammenhängen, wie sie im vorliegenden Werk geschildert wird, offenbart einen suchtähnlichen Drang nach Zusammenhängen, wo eigentlich keine zwangsläufig vorhanden sein müssen.

Die Zusammenarbeit der Autoren führte zu einer gegenseitigen Verstärkung emotionaler Beteiligung, die eine permanent wachsende Bestärkung in der Bedeutung des Projekts zur Folge hatte.

Das ist eine persönliche und psychologische Kritik: Ihre Berechtigung resultiert aus der Form der Darstellung, bei der die Autoren selbst das Terrain sachlicher Darlegung ihrer Forschungsergebnisse verlassen haben.

8. Die bereits existenten ähnlichen Systeme der Zuschreibung von Sternbildern zu Strukturen am Boden werden nicht referiert, ja nicht einmal erwähnt:

-Uwe Topper beschrieb als eins von vielen Beispielen für die atlantische Astronomie die bildliche Ausformung des Eridanus–Sternbildes, die er als fast deckungsgleiches Abbild des Eridanus–Flusses in Iberien ansah, sogar im Namen enthalten (erRio d’Anas, lateinisch nur Anas genannt, heute Guadi Ana, wobei Guadi=Wadi=Wasserlauf, der längste Fluß der Iberischen Halbinsel). Dafür konnte er auch ein Felsbild vorweisen, das genau diesen Flußlauf mit seinem problematischen Extrabogen wiedergibt. (Das Erbe der Giganten, 1977, S. 96 ff mit Abb.).

-Die Sternbilder des Tierkreises um den Hügel von Glastonbury : Ursprünglich "entdeckt" von John Dee in 1580 (s. Michell, S. 25) und dann von der Künstlerin Mrs. Katherine Maltwood im Jahre 1929 (Bord, S. 218).

-Die Theorie von Kai Helge Wirth: Die Formen der wichtigsten zirkumpolaren Sternbilder ahmten die Küstenlinien verschiedener Kontinente des Nordatlantik-Bereichs nach und hätten demzufolge während des Megalithikums eine kartographische Funktion für die Hochseeschiffahrt erfüllt (Näheres im Internet unter www.artandscience.de)

-Herwig u. Axel Brätz: Sie sind die Entdecker der sogenannten "Urbanoglyphen". Hierbei handelt es sich u. a. um Sternbilder, die die Gründer mittelalterlicher Städte mittels punktueller Anlagen von Kirchen und Straßenzügen in sie hineingelegt hätten. Als Beispiel sei genannt: Eberswalde, in dessen Altstadtgrundriß man glaubt, das Sternbild Löwe erkennen zu können.

-Hermann Zschweigert ging bereits 1997 davon aus, daß verschiedene ostfriesische Kirchen durch Verbindungslinien so zu strukturieren seien, daß sich z.B. eine Projektion des "Kleinen Wagens" auf den Boden ergäbe (Meier / Zschweigert, S. 255). Zitat: "Die mittelalterlichen Kirchen standen in der Kontinuität vermessener Heiligtümer der Vorzeit, deren jedes einen bestimmten Stern repräsentierte".

Die Idee einer geheimen Korrespondenz von Gegebenheiten auf der Erde und Zeichen, die am Himmel zu sehen seien, trieb noch stets die seltsamsten Blüten der Phantastik. Sie lassen sich im Grunde in zwei Richtungen verfolgen: Entweder dergestalt, daß Symbole der Erdoberfläche und menschlichen Kultur in den Himmel projiziert wurden. Darauf läuft auch die kultur- und religionshistorische Beschäftigung mit den Sternbildern hinaus. Denn es gibt nur wenige Mythenforscher, die die Mythen als Extrakt himmlischer Vorgänge betrachten.

Umgekehrt werden die mythisch assoziierten Sternbilder als Merkzeichen von mythischen Erzählungen aufgefaßt. In diese Richtung läuft insofern auch Kai Helge Wirths Theorie, nur daß es hier nicht um mythische Inhalte, sondern um praktische Erfordernisse geht ( nämlich um geogaphische Orientierung).

Eigentümliche Vorläufer dieser Vorstellung wären die Theorien von Jacques Gaffarel (1637), Guillaume Postel (1510-1581) und Agrippa v. Nettesheim (1486-1535): Sie sahen in Bildern am Himmel Abbildungen irdischer Alphabete (z.T. des hebräischen Alphabets), so daß mit der Bewegung des Firmaments schriftliche Botschaften am Himmel aufzutauchen und wieder zu verschwinden schienen (s. Seligmann, S.258 f. u. S. 289).

Bei Maltwood, Thiele / Knorr, Brätz und Zschweigert hingegen werden Sternbilder als Merkzeichen mythischer Erzählungen auf die Erde "zurückprojiziert" offensichtlich, um dadurch Mythisch-Kultisches architektonisch-kulturell zu fixieren, in unverrückbare Strukturen zu bannen.

9. Die Theorie setzt vorraus, dass die aus dem hellenistisch-babylonischen Bereich bekannten Sternbilder und ihre Mythen im fraglichen geographischen Raum bekannt waren.

(Der Einwand, dass es hier letztendlich nur um Einzelsterne geht, ist kaum stichhaltig, da die Verzerrungssituation hinsichtlich der Bilder die Plausibilität der Theorie noch mehr erschweren würde: Die Bodensternbilder von Thiele / Knorr sind verzerrt, die Plausibilität der Übereinstimmung ergibt sich lediglich aus der Ähnlichkeit der Form. Würde man also angeben, daß es in Wirklichkeit auf die einzelnen Sterne ankäme, müßte man dies anhand einer Übereinstimmung der Entfernung ihrer wirklichen Orte am Himmel nach astronomischen Kriterien überprüfen und diese Entfernungen anhand derer der "Bodensterne" = Kirchen) überprüfen. Damit sinkt der Plausibilitätsgrad der Übereinstmmung dramatisch).

Es ergibt sich hinsichtlich des Unterschiedes zwischen "zeitgenössischen" Sternbildern der griechisch-römischen Antike bzw. germanischer Sternbildsagen und der megalithischen Epoche ein zeitlicher zu überbrückender Abstand von 3000-4000 Jahren, für die Überlieferungskontinuität und Kausalität beanprucht werden müsste.

Dagegen steht die lokale und territoriale Differenz in der Verbildlichung von Sternkonstellationen (Beispiel: Der Gürtel des Orion, in den germanischen Sternbildsagen "Friggas Rocken").

Hinweis von Uwe Topper vom 31.01.2005:

Die Autoren legen – soweit erkennbar – die "heutigen" Formen der Sternbilder zugrunde, daß heißt die Gestalt, wie man seit der Renaissance die Sterne zu Gruppen zusammengefaßt hat. Diese Gestalt war vor Dürer eine andere, sie wurde gerade erst gegen 1500 neu genormt, wie aus vielen Hinweisen der damaligen Astronomen ersichtlich ist. Damit ergibt sich ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Auffassung vom Sternhimmel vor der Christianisierung Deutschlands und nachher.

 

 

10. Auf die Kontinuitätsbrüche zwischen megalithischer und germanisch-indogermanischer Ära wird nirgends eingegangen.

 

11. Die Frage nach dem kulturell-zivilisatorischen Sinn und der praktischen Relevanz muß als ungelöst betrachtet werden:

-Insbesondere im Vergleich mit der Ortungs- und Visurtheorie megalithischer Alignements und Steinkreise ergibt sich die Abwesenheit einer kalendarischen und kultischen Nutzbarkeit des Gesamtsystems.

-Und im Gegensatz zu anderen großformatigen graphischen Strukturen (z.B. England) ist die Gesamtstruktur optisch-visuell nicht wahrnehmbar (s. auch Nazca / Peru)

12. Eine irgendwie geartete Beziehung zur Kultstätte Externsteine ist nicht auszumachen. (Verlängert man den nördlichen Pol ALLAGEN nach Thiele / Knorr Richtung N, gelangt man lediglich an den Nordwestrand / Ausläufer des Teutoburger Waldes bei Dissen / Bad Rothenfelde).

13. Am Himmel der nördlichen Hemissphäre sind weit mehr Sternbilder sichtbar, als die 17, die Thiele / Knorr gefunden haben wollen, nämlich

Im Winter (1. Januar): ca.24

Im Frühjahr (1. April): ca. 34

Im Sommer (1. Juli): ca. 40

Im Herbst ( 1. Oktober): ca. 37

(Angaben gem. Bruno Bürgel: Aus fernen Welten - eine volkstümliche Himmelskunde, Berlin 1911)

 

Benutzte Literatur:

Bord, Janet & Colin: Mysterious Britain, Frogmore, St. Albans, 1976 (Großbritannien)

Brätz, Axel: Geheimnisvolle Städte - Eberswalde - Bernau, Eberswalde 2002

Herrmann, Joachim: Welcher Stern ist das ?, Stuttgart 2001

Meier, Gert / Zschweigert, Hermann: Die Hochkultur der Megalithzeit, Tübingen 1997

Michell, John: Die Geomantie von Atlantis - Wissenschaft und Mythos der Erdenergie, Müchen 1986

Seligmann, Kurt: Das Weltreich der Magie, Wiesbaden, o.J. (Englische Originalausgabe New York 1948)

Thiele, Wolfgang / Knorr, Herbert: Der Himmel ist unter uns, Bottrop 2003

 

 

 

 

 

 

Matthias Wenger - 30.01.2005