Dächer ohne Wände
                  Ein neues Kapitel neuheidnischer Beschäftigungstherapie wird eröffnet
                        von Mephistopheles


Kleine verschwiegene Gemeinschaften, die sich in ihrer Freizeit mit Ritualen, Mythologie und farbenprächtigen Gewändern umgeben, gibt es viele in unserm Land.

Seit 1992 der Steinkreis und 1995 der Rabenclan gegründet wurden, existieren auch örtlich übergeordnete Interessenverbände für jene Hexen, Heiden und Magier, die sich auf den Weg gemacht haben, eine Religion der Zukunft zu erkunden.

Auch die britische Pagan Federation, die auf der Insel tatsächlich eine Organisation von Gewicht (mit ca. 3000 Mitgliedern) wurde, mischt in Deutschland mit.

Stellt sich die Frage, was den Yggdrasil-Kreis e.V. veranlaßt hat, noch eine weitere Gründung anzustoßen, die in diesem Monat Gestalt annehmen soll - Gibt es tatsächlich noch mehr deutsche Neuheiden, die Bock auf Geschäftsordnungsdebatten, Buchführung, Amtsgerichtskorrespondenz und Mitgliederversammlungen haben - ohne das inhaltlich wenig mehr als wohltönende Selbstbeweihräucherungen zu Tage treten ?

Betrachtet man die Liste jener Gruppen, die sich hier ein Stelldichein geben, werden gewisse nebulöse Konturen sichtbar: Extrem traditionalistisch geprägte Gruppen wie die Heidnische Gemeinschaft Berlin (Michael Pflanz), der Urda-Clan (Leif-Thorsten Kramps, Zeitschrift Stachelbeere) und der Odinic Rite Deutschland finden sich neben hermetischen und ritualmagischen Logen, bei denen M.D.Eschners Ethos-Gemeinschaft Thelema sicher noch die herausragendste ist.

Liegt somit der Akzent religiös auf Sehnsucht nach der Vergangenheit kann man im magischen Bereich von der Vorherrschaft eines esoterisch verbrähmten Narzißmus mit neuplatonischer Prägung ausgehen. All das bietet sicher kein Billett in eine wirklich neue Welt, von positiven Utopien ganz zu schweigen.

Und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß Medien, gesellschaftliche Institutionen und die übrige Öffentlichkeit darauf positiv und offenherzig reagieren werden. Die Anerkennung der "hermetischen Wissenschaften als ... Teil der modernen Naturwissenschaften" dürfte sich eher zu einer wissenschaftspolitischen Lachnummer entwickeln. Auch das "ökologische Denken und Handeln" dürfte in magisch-hermetischen Logen vorsichtig ausgedrückt zu den minoritären Optionen zählen.

Die größte Heiterkeit erregte beim Schreiber allerdings die "Präambel": Ein explizites Glaubensbekenntnis zur "Beseeltheit der Natur", „Leben im Einklang mit der Natu", "Unsterblichkeit der Seele", Feier der vier Sonnenfeste" etc. pp. zeugt nicht nur von einem protestantisch geprägten Überzeugungs-Striptease. Es offenbart zugleich auch die schreiendste Unkenntnis über die Retortenhaftigkeit dieser Formulierungen gegenüber den archaischen Religionen - es zeigt auch die totale Naivität gegenüber den perversen Machtstrukturen der hermetischen Orden, deren Clou gerade die absolute Loslösung von allen natürlichen Vorraussetzungen darstellt.

Es deutet also alles darauf hin, daß hier Fremde in Blindheit zueinander streben, möglicherweise ins Leere gestikulieren und statt einer neuheidnischen Lobby einer Totgeburt zum Leben verhelfen.

Und die drei "Dachverbände", die wir schon haben ?

Vielleicht ist der allerneueste Dachstuhl des deutschen Neuheidentums immerhin so lautstark, daß die Worte jener drei in Richtung Außenwelt endgültig zu einem heiseren Flüstern entschwinden.

Zumal hier die Beschäftigung mit sich selbst ohnehin zu den vornehmsten Riten zu gehören scheint, denen man sich hingibt.