Ich staunte
nicht schlecht, als ich vor einigen Tagen am Zeitungskiosk auf meinem U-Bahnhof
vorbeikam: Zwischen Stapeln von Lifestylemagazinen, Boulevardblättern
und Tattoo-Motiv-Katalogen leuchteten mir entgegen: „Hexen, Druiden, weise
Frauen". Ich staunte und wunderte mich. Es war eine Sondernummer der Zeitschrift
connection („connection spezial"). Daß die Leute aus dem Osho(Bhagwan)-Umfeld
sich schon immer für archaische religiöse Motive und Riten, wie
auch deren Gottheiten interessiert hatten, war mir, irgendwie diffuse,
bekannt.
Aber
in dieser Ausgabe von „connection" wird eine sehr gezielte Querverbindung
zwischen sexualtherapeutisch verstandenem Tantra, meditativen und tiefenpsychologischen
Techniken einerseits und neuheidnischem Gedankengut andererseits hergestellt.
Auf
dieser Reflektionsebene wird naturreligiöses Heidentum als etwas sehr
Modernes, etwas sehr Notwendiges und Praktikables betrachtet. „Schamanische
Wege zur Heilung" lautet deshalb auch der Titel. Denn bei Heilung geht
es um menschliches Bedürfnis, nicht um nostalgische Theorien. Veranschaulicht
wird der Umgang mit dem Bedürfnis durch Erlebnis- und Reiseberichte,
also schamanistische Erfahrungen, die jemand selbst gemacht hat, werden
berichtet, oder solche, die man in bestimmten Regionen und Kulturen beobachten
kann. Aber auch das Selbstverständnis von Hexen auf dem Hintergrund
von Feminismus und Wicca-Kult werden erörtert. Im Grunde kommt das
gesamte Spektrum des modernen Neuheidentums zur Geltung.
Einzelne
Namen kannte ich aus verflossenen Jahren: Wolfgang Bauer etwa, der schon
Anfang der Achtziger (?) zusammen mit Sergius Golowin und Alt-Apo-Aktivist
und Trikont-Gründer Herbert Röttgen ein „Lexikon der Symbole"
herausbrachte, ein echtes Gesellenstück neuheidnischen Synkretismus.
Wohlbekannt auch Clemens Zerling, der Gründer des langjährigen
und legendären Berliner Verlags gleichen Namens, aus dessen Hand zahlreiche
großartige Werke an interessierte Leser gelangten (z.B. der Katalog
der großen Hamburger Hexenausstellung). Aber auch Luisa Francia,
als Klassikerin der feministischen Spiritualität ist keine Unbekannte.
Andererseits
fand ich eine Menge AutorInnen, die spannende Artikel zu Papier gebracht
haben, aber mir persönlich bisher unbekannt blieben: Leila Dregger,
Thomas Kaestle, Rita Crecelius, Alexandra Rosenbohm, Helmut Schmidmeier,
Holger Jordan, Adelheid Mühlan, Inge Hasswani oder Ingeborg Szöllösi.
Im Grunde
hätte ein solches Heft unter der Ägide von Pagan Federation,
Steinkreis e.V. oder dem Rabenclan erscheinen können. Aber offensichtlich
haben eine Menge Leute, die etwas anzubieten haben, überhaupt keinen
Bock auf derartige Gruppen. Obwohl diese beanpruchen, das große Wort
für das Neuheidentum zu führen.
Warum
ist das so ?
So erfahren
die Leute, die an meinem Bahnhofskiosk vorbeikommen, zwar viel Interessantes
über Hexen, Schamanen und Druiden. Sie erhalten, neben zahlreichen
kommerziellen Angeboten und der Empfehlung von Büchern aus dem rechtsextremen
Zeitenwende-Verlag/Dresden und Elaboraten des Arun-Verlags nichts, aber
auch rein gar nichts über jene Gruppen (siehe oben !), die angetreten
sind, ihrer Mitwelt das Heidentum schmackhaft zu machen.
Möglicherweise
ist das aber eben auch gar nicht nötig. Und zwar aus einem guten Grund:
Es ergibt keinen Sinn, eine Interessengemeinschaft für etwas aufrechtzuerhalten,
was ohnehin allgemeingültige Überzeugung eines Großteils
der Bevölkerung darstellt.
Wie
das ? Sind nicht die meisten Deutschen Konsumtrottel, Atheisten oder bestenfalls
Gelegenheitskirchgänger ?
Aber
keineswegs ! Eine ungeheure spirituelle Sensibilität spiegelt sie
wider, jene kürzliche Umfrage, die das Forsa-Institut
im Auftrag des P.M.-Magazins erstellte: Nach ihr würden fast die Hälfte
aller Deutschen unter 45 Jahren ihre Wohnung gern mit einer Fee, einer
Nixe, einem Kobold oder Zwerg teilen. 59 Prozent der Befragten halten die
meisten Naturgeister für gutmütig und vertrauen ihnen. 27 Prozent
aller Bundesbürger und 40 Prozent der unter 30-Jährigen Erwachsenen
sind der Überzeugung, daß Naturgeister ihnen zur Seite stehen
und sie unterstützen.
Damit
dürfte klar sein: Die heidnische Naturreligion ist, von vielen Religionshistorikern
offenbar völlig unbemerkt, die führende Religion des deutschen
Volkes geworden.
Diese
Feststellung verschärft sich noch, wenn wir (was leider in der vorliegenden
Untersuchung außer acht gelassen wurde), die Bereitschaft der über
65-Jährigen berücksichtigen, ein Stück Land gemeinsam mit
(Garten-)Zwergen zu bewohnen.
Das
ganze läuft also quer durch alle Altersstufen. Und solchen erlauchten
Organisationen wie dem Rabenclan, der Pagan Federation oder dem Steinkreis
würde ich empfehlen, auf ihren nächsten Mitgliederversammlungen
ihre Auflösung zu beschließen.
Sie
haben schlicht keine Funktion mehr, da mittlerweile fast alle Menschen
zwischen Oder und Rhein ihre Überzeugungen teilen !
06.12.2001