Was können wir über den Hexenkult wissen ?

Die Frage nach der Vorgeschichte dessen, was gegenwärtig als Wicca und feministischer Hexenkult einen großen Teil des heutigen Heidentums ausmacht, erscheint mir umso wichtiger, je größer die Zahl der wirklich "Gläubigen" auf diesem Gebiet wird. Durch die immer größere Zahl der Anhänger des Kults wächst auch die Tendenz zur Trivialisierung und die ideologische Macht der männlichen und weiblichen Gurus, ob sie nun Alex Sanders, Starhawk, Louisa Francia, Zsuzsanna Budapest oder Vivianne Crowley heißen mögen. Die Frage bleibt, ob das, was jene Persönlichkeiten in ihren Büchern zum Besten geben, tatsächlich eine Anknüpfung an die historische Wirklichkeit des Hexenkults darstellt - oder ob es vielleicht nur eine Ansammlung von Vermutungen und spekulativen Projektionen ist, die tatsächlich auf einer Kunstreligion des 20. Jahrhunderts beruhen.
Ein polemischer Beginn, ich weiß... Aber das wenige, was wir über die alte Religion objektiv wissen, offenbart augenscheinlich eine derartige Kluft zwischen den Vermutungen und den Tatsachen, daß ich mit geradezu gebieterischer Lautstärke jene Fragen zu wiederholen wage.
In welcher Richtung und wo sollen wir zu einer Antwort unsere Zuflucht suchen?   Ich habe versucht, mich dabei in Richtung Wissenschaft zu bewegen. Die Geschichtswissenschaft benutzt Dokumente und hat den Anspruch, durch ihre akribisch-detaillierte Auswertung zu globalen Aussagen über geschichtliche Entwicklungen zu kommen.
Die Arbeit zweier Menschen aus dieser Zunft möchte ich Euch gern in diesem Artikel vorstellen: Es handelt sich um den 58-jährigen italienischen Historiker Carlo Ginzburg und die im Saarland beheimatete 40-jährige deutsche Historikerin Eva Labouvie, die sich beide für die historische Wirklichkeit dessen interessiert haben, was sich hinter der Fassade der inquisitorischen Propaganda in Bezug auf den Hexenkult verborgen hält.
Beide haben zahlreiche Originalakten aus der Zeit der Hexenprozesse ausgewertet. Es geht hier also nicht primär um kulturgeschichtliche Deutungsmuster im Sinne von spekulativen Gesamtdarstellungen, sondern um die Präsentation von Originalquellen, und dessen, was man an konkreten Erkenntnissen aus diesen Quellen ziehen kann. Durch diese Arbeitsweise werden sie für mich zu wichtigen Zeugen.
Abgesehen von der Bearbeitung ursprünglichster Geschichtsquellen gehört zu ihrer Arbeit die Konzentration auf ein relativ kleines geographisches Territorium. Eva Labouvie hat sich in ihrem Quellenstudium mit dem Saarland während des 16. und 17. Jahrhunderts beschäftigt, während Carlo Ginzburg seine Aufmerksamkeit für den gleichen Zeitraum auf das Friaul gerichtet hat, eine Landschaft am östlichen Ausläufer der italienischen Alpen.
Das ist natürlich "typisch" wissenschaftlich - die Spezialisierung auf einen bzw. hier zwei kleine Ausschnitte der europäischen Gesamtgeschichte. Aber anders ist es eben zunächst einmal nicht möglich, zu konkreten, begründeten Aussagen zu kommen, statt sich in Verallgemeinerungen und Vermutungen zu verlieren.
Sowohl Ginzburg als auch Labouvie kommen relativ schnell auf ein Problem zu sprechen, das auch dem historiographischen Laien präsent sein dürfte: Nehmen wir einmal an, daß es tatsächlich eine Religion der Hexen gegeben hat, die noch in der frühen Neuzeit lebendig war, so bleibt die Tatsache, daß wir über unmittelbare Quellen darüber nur vonseiten jener Kräfte verfügen, die dieser Religion feindlich gesonnen waren bzw. sie sogar vernichten wollten.
Diese Quellen, also die Protokolle der Fragen der Hexenrichter und der Antworten ihrer Opfer, nun als erkenntnisfördernd zu betrachten, erscheint uns schwierig wenn nicht gar unmöglich, da die Antworten der vermeintlichen oder echten Hexen unter ungeheurem psychischen Druck zustande kamen, teilweise unter Androhung  oder tatsächlichem Vollzug der Folter.
Und doch sind sie aussagekräftig, wenn man sie nicht punktuell betrachtet, sondern in größerer Zahl in ihrer historischen Entwicklung über viele Jahrzehnte bis hin zu einem Jahrhundert. Dann nämlich stellt sich heraus, daß die darin enthaltenen Aussagen Wandlungsprozessen unterworfen sind, die deutlich werden lassen, worin die ideologisch bedingten Vorstellungen der Inquisitoren  liegen, und wie das volkstümliche Selbstverständnis von Zauberei und Hexerei beschaffen war, wie es vielleicht die Opfer der Prozesse auch selbst vertraten.
Es kommen also darin zwei verschiedene Vorstellungsebenen zum Ausdruck, zwei Schichten, welche einmal dem Weltbild der Intelektuellen, Theologen und Juristen entspricht und dem Bild, was die "einfachen" Menschen des Bauerntums und des Handwerks darunter verstanden.
So hat Eva Labouvie z.B. festgestellt, daß die herkömmliche gerade in feministischen Kreisen stark verbreitete Sicht einer rein weiblichen Identität der "Hexen" in ihrem Untersuchungsgebiet mit den tatsächlichen Gegebenheiten stark kontrastiert: Bei den untersuchten Prozessen ergibt sich bei den Verfolgten ein Verhältnis von 72,34% Frauen und 27,66% Männern. Zwar ist damit eine Dominanz des Weiblichen im Umkreis des Hexenkults angedeutet, aber es ist doch auch nicht zu verhehlen, daß Männer ebenso eine nicht unwesentliche Rolle darin spielten, die sich in der volkstümlichen Ikonographie des Themas in keiner Weise niedergeschlagen hat (s. z.B. Marianne Halbey: 66 Hexen, Dortmund 1987 ! ).
Des Weiteren hat sich in ihrer Untersuchung herausgestellt, daß die Idee der Beziehung zwischen Hexe und Teufel als Abhängigkeitsverhältnis und der Hexensabbat als institutionalisierte "Gemeinschaftsveranstaltung" zwischen Teufel und Hexen spätere Einschübe des theologischen Intellektualismus darstellen müssen.
Die ursprüngliche Hexe wurde noch nicht einmal als solche bezeichnet, sondern als "Zauberin" (ein Begriff mit einem völlig anderen Bedeutungshintergrund! ), die nicht in einem Vasallenverhältnis zu einem Oberdämonen stand, sondern als eigenständig machtvolles menschliches Wesen magische Kräfte benutzen konnte. Die Vorwürfe der gemeinsamen Verabredung zum Bösen, der Hostienschändung, der Hilfe des Teufels zum bösartigen Handeln - all das sind also Elemente, die später erst mit dem Begriff der Hexe verbunden wurden, was sich zu dem Bild vom "bunten" chaotischen Treiben auf dem Sabbat verdichtete.
In Wirklichkeit war die Quintessenz der Tätigkeit einer Zauberin oder eines Zauberers (auch lapidar "Werwolf" genannt) die Beherrschung verschiedener magischer Techniken, die zum Guten aber auch zum Schaden der Mitmenschen verwendet werden konnten.
Und hier kommen wir auch auf eine Tatsache, die ebensowenig in das historiographische Schema vieler heutiger Anhänger des Hexenkults paßt: Denn neben den verfolgten und getöteten Menschen jener Zeit gab es mindestens ebenso viele, die mit Hilfe von Besprechungspraktiken, Gesundbeterei, Kräuterkunde und vielerlei anderen Praktiken medizinisch und "sozialpädagogisch" tätig waren und dafür von der Kirche nicht im geringsten belangt oder verfolgt wurden. Der für die massenhafte Verfolgung "zauberischer" Frauen und Männer ausschlaggebende Grund war der auf den verschiedensten sozialen Konflikten beruhende Vowurf des Schadenszaubers - nicht etwa die Vorhaltung der Benutzung magischer Techniken an sich.
Die wesentliche Erkenntnis, die man aus dieser Arbeit ziehen kann, würde also darauf hinauslaufen, daß die Zauberin (später "Hexe" genannt) und der Zauberer nicht etwa im Mittelpunkt eines institutionalisierten Kultes standen, dessen Aufgabe die Kontaktvermittlung zu irgendwelchen allmächtigen Dämonen war.
Das Wesentliche ihres Tätigkeitsfeldes war die praktische Anwendung und bestenfalls Weitergabe bestimmter alter Techniken und Regeln, die man im Allgemeinen als Volksmagie zu bezeichnen pflegt (Eine detaillierte und systematische Beschreibung dieser Techniken findet man in James George Frazers Werk "Der Goldene Zweig"). Gegenstand dieser Magie ist aber eben nicht ein Energie-Transfer transzendenter Entitäten, dessen sich Menschen durch einen Pakt oder eine Art negativer "Bekehrung" versichern müssen - es handelt sich vielmehr um die Anwendung natürlicher Eigenschaften der Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine und Orte, der Ausnutzung der geheimnisvollen Regeln ihrer Kommunikation. Das bedeutet in letzter Konsequenz, daß das Bild der Dualität von "Göttin" und "Gehörntem Gott" und ihrer segenspendenden Wirkung sich nur unter Auswertung kirchlicher Projektionen entwickeln konnte. Ursprünglich ist es offenbar nicht. Dazu gehört auch die Erwähnung der Tatsache, daß das volkstümliche Bild vom Teufel nur selten den Bock oder den "Gehörnten" erwähnt, aber alle möglichen anderen Tiere und Erscheinungsformen (Hunde, Hähne, Mäuse oder Feuerflammen).
Durchaus ursprüngliche Vorstellungen von den Eigenschaften der Zauberin waren aber nach Eva Labouvie: Der Flug durch die Luft, die Tierverwandlung, die Herstellung von Zaubermitteln und die magische Beeinflussung der Fruchtbarkeit und Gesundheit anderer Wesenheiten: Menschen und Tiere).
Aber auch mit anderen Mythen über die Zeit der Hexenverfolgung bricht Labouvie, wenn sie beispielsweise festgestellt hat, daß speziell in ihrem Untersuchungsgebiet die Initiative der Verfolgung nicht beim Klerus oder bei den Fürsten lag, sondern in örtlichen, dörflichen Gremien - und daß die wesentliche Triebkraft der Verfolgung soziale Mißgunst, Neid und langjährige Konflikte waren, denen dann in den Prozessen ein mythisch-dämonologisches Mäntelchen umgehängt wurde.
Es steht uns natürlich frei, der allerdings verbrecherisch agierenden Kirche alle Schuld an den Folterungen und Ermordungen von Millionen Frauen zuzuschreiben - und ihre intelektuelle Urheberschaft ist sicherlich unumstritten. Dennoch ändert das nichts daran, daß noch bis in die Sechziger Jahre in ländlichen Gebiteten Bayerns und Norddeutschlands hundertausende von Frauen (!) andere Frauen als Hexen denunziert und sozialpsychologisch vernichtet haben, als es staatlicherseits schon seit 200 Jahren keine Hexenprozesse mehr gab.
Versuchen wir aber nicht, historische Schuld zu ergründen (ohnehin ein Paradigma christlicher Ethik !), sondern betrachten wir Carlo Ginzburgs Beitrag zur historischen Aufklärung über den Hexenkult.
Ginzburgs Ausgangspunkt in den Sechziger Jahren war die Entdeckung eines historischen Phänomens: Der sogenannten Benandanti, einer lokalen Form von "Hexenkult" im Friaul des 16. Jahrhunderts. Die in den Prozeßakten der heiligen Inquisition auftauchenden Äußerungen der Anhänger der Benandanti über jenen Kult sind deshalb so interessant, weil sie inhaltlich keinerlei Verbindung zu den kirchlichen Vorstellungeen über Hexensabbat, Teufelspakt und Dämonenglauben aufzuweisen hatten, was die Inquisitoren in nicht geringes Erstaunen, ja geradezu in Verwirrung versetzte.
Die Benandanti, so ihr Selbstbekenntnis, seien durch Geburt auserkorene Menschen, die viermal im Jahr (zu den sog. Quatembern) "ausfahren" müssen, um sich auf bestimmten Feldern geheimnisvolle Kämpfe mit anderen Wesenheiten zu liefern. Jene "anderen" hätten dabei die Zielsetzung, die Ernte an Trauben oder z.B. Getreide zu schädigen. Durch den Ausgang der Kämpfe zwischen den Benandanti und den "Streghe" (= Hexen), die zwischen ihnen mit Hilfe von Hirse- und Fenchelstengeln ausgetragen werden, entscheidet sich, ob die Fruchtbarkeit der Felder nachhaltig geschädigt wird, oder ob es eine gute Ernte gibt.
Das Erlebnis des "Ausfahrens" bezieht sich auf eine Bewegung der Seele durch den Raum, wo der "Benandante" vielerlei bekannte Menschen aus seiner Umgebung, aber auch Verstorbene antrifft. Auch die "Gegenseite" ist von Menschen aus dem örtlichen und sozialen Umfeld geprägt, ihre Identifizierung als "Schwarzmagier" wird dann von den Benandanti teilweise als Mittel benutzt, um selber den Kopf aus der Schlinge der Verfolgung zu ziehen, und jene bei der heiligen Inquisition zu denunzieren. Für Ginzburg galten die Prozeßunterlagen übe die Benandanti als Beweis dafür, daß dem Phänomen der Hexenverfolgung eine prähistorische Religiosität zugrunde gelegen haben muß, da hier in authentischer Weise volkstümliche Vorstellungen geschildert werden, die mit den Angaben solcher ominöser Werke wie dem "Hexenhammer" in keiner Weise konform gehen.
Jene Studie wurde dann für ihn zum Ausgangspunkt, sich über mögliche Zusammenhänge mit anderen Regionen Europas Gedanken zu machen - ein voluminöses Forschungsunternehmen, dessen Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung er dann 1989 in dem Buch "Hexensabbat" vorlegte.
Dabei bediente sich Ginzburg einer folgerichtigen Methode: Wenn man davon ausgehen kann, daß im weiteren Verlauf der  Verfolgungsgeschichte immer stärker volkstümliche Vorstellungen von Hexerei durch intellektuelle Konstrukte der Theologen verdrängt wurden, bräuchte man nur die ältesten Prozesse zu untersuchen, um auf eine wenigstens relativ authentische Schicht von Überlieferungen zu stoßen. Ginzburg wandte hier die gleiche Vorgehensweise im gesamteuropäischen Maßstab an, die Eva Labouvie für ein einziges Jahrhundert Verfolgungsgeschichte in der von ihr untersuchten Region gewählt hatte.
Dabei stellte Ginzburg auch fest, in welcher Region Europas überhaupt die ersten Hexenprozesse stattfanden: Er fand ein Territorium in den westlichen Alpen, um die heutigen Grenzen von Frankreich, Italien und der Schweiz. In der gleichen Region finden wir auch den Ausgangspunkt für mittelalterliche Juden- und Ketzerverfolgungen, deren Vorwürfe darin gipfelten, die Beschuldigten seien für die Verbreitung der Pest verantwortlich.
Wenn man den diesen Verfolgungen sich anschließenden Bildern nachgeht, kommt man nach Ginzburg auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner: Menschen, die des Nachts in Ekstase geraten, um aus ihrem Körper  "auszufahren", legen diese Reise auf dem Rücken verschiedener Tiere zurück oder verwandeln sich selbst in diese Tiere. Die so zusammen kommenden größeren Menschenmassen werden angeführt von einer oder mehreren Göttinnen bzw. Göttern / mythisierten historischen Gestalten. Bei dieser Gelegenheit ergibt sich wieder ein inhaltlicher Konflikt, den wir schon bei der Besprechung von Labouvies Arbeit angeschnitten haben: Der "Kult" ist ursprünglich offenbar kein rein weibliches Phänomen, es gibt mit einer Göttin umherstreifende Frauen, aber auch mit einem König oder Jäger umherstreifende Männer (Krieger / Jäger). Es gibt spezielle Überlieferungen dieses Zuschnitts, wie z.B. die südslawischen und griechischen, wo man ausschließlich Männer antrifft (s. Ginzburg, S. 174ff.). Die Welt, in der sie sich begegnen, ist eine andere Welt, obwohl sie durchaus gegenüber den anderen Menschen in Erscheinung treten können. Teilweise ziehen sie nicht nur mit anderen "Ausgefahrenen" umher, sondern auch mit Verstorbenen. Die genannte Göttin wird als Herrin der Tiere aufgefaßt, ja in tiergestaltiger Form selbst wahrgenommen, speziell in Form einer Bärin. Sie vereinigt in ihrer "Heerschar" die Lebenden ebenso wie die Toten.
Diese Gottheit ist also im Grunde Herrin über Tote und Lebende, Tiere wie Menschen. Sie vermag demzufolge zu töten, aber auch neu zum Leben zu erwecken. Nachdem Ginzburg diese Aussagen über eine Fülle von Quellen plausibel gemacht hat, wobei er anhand der mythischen Bärengestalt zunächst eine keltische Identität des Hexenkults ins Blickfeld gerückt hat, begibt er sich anhand besonders eigenartiger Details in scheinbar ganz abwegige Bereiche: Es gibt in allen alten Überlieferungen Eurasiens einen speziellen "Archetypus", nämlich den des hinkenden Gottes. Das wird sich für viele Leser zunächst einmal völlig absurd anhören. Man sollte sich aber mit der Idee anfreunden, daß viele wesentliche Elemente der alten Religionen von allem abweichen, was wir mit den Begriffen  Religion und Transzendenz verbinden.
Ginzburg referiert dann die Grundvorstellung, daß man von einem getöteten Tier alle Knochen sorgfältig aufheben und vollständig bestatten mußte, um seine Wiedergeburt in erneuerter, körperlich vollkommener Gestalt zu ermöglichen. Die Erscheinung eines Hinkenden würde demzufolge auf eine Rückkehr aus der anderen Welt, der Welt der Toten hindeuten - doch in unvollkommener Form, so, als wenn dieser Betreffende ertwas, einen Teil seines Körpers in jener Welt zurücklassen mußte.
Der hinkende Teufel, der alte indoeuropäische Gott mit der einen Hand, der einäugige Gott und vieles andere mehr in den Mythen würde dadurch eine sinnvolle Erklärung finden.
Ginzburg bemerkt angesichts dieser in einem riesigen geographischen Territorium verstreuten inhaltlich übereinstimmenden Details, daß man mit dem Versuch ihrer kulturgeschichtlichen Identifizierung auf nicht geringe Schwierigkeiten stößt.
Eine Umschreibung als wahlweise germanisches, keltisches oder mongolisches Erbe erweist nicht die geringste Zielsicherheit. Die Möglichkeit einer Zuordnung zum "Indoeuropäischen" als dem gemeinsamen Nenner vieler eurasischer Hochkulturen reißt er an, um es schließlich angesichts der zahllosen unbewiesenen sprachgeschichtlichen Hypothesen auf diesem Gebiet zu verwerfen.
Was könnte aber letzten Endes der gemeinsame Nenner der religiösen und kulturellen Symbole der eurasischen Festlandsmasse sein: Es ist natürlich der Schamanismus. Es ist die alte Religion der Jäger, deren Gedankengut um Tod und Wiedergeburt der Tiere kreiste, um die Identifizierung mit diesen Tieren und ihre Vergöttlichung - und es ist eine Religion, die älter ist, als die Mythologien der Hochkulturen oder die matriarchalischen Mythen der
Ackerbaukulturen !
Diese letztendliche Erkenntnis Ginzburgs ist allerdings revolutionär und kann nicht ohne den Widerspruch einer großen Zahl von Anhängerinnen eines modernen feministisch geprägten Hexenkults stehenbleiben.
Denn diese berufen sich primär auf die prähistorische Kultur eines ackerbautreibenden und viehzüchtenden Matriarchats - eine historisch gesehen weitaus jüngere Kulturform, als jene der Jäger und Sammler.
Allerdings sollte man, bevor man die eigene heidnische Spielart einer Totalrevision unterzieht, nicht Folgendes vergessen: Es gibt sicher noch viele andere Quellen, die erforscht werden müssen, um das hier entworfene Bild abzurunden, weiter zu belegen oder vielleicht auch zu modifizieren.    Eines aber sollte jedem klar sein:
Wir sind weder Bauern auf von mächtigen Frauen geleiteten Landgütern. Wir sind aber auch keine umherstreifenden Jäger, deren Wohlstand oder Hungertod vom erfolgreichen Jagen abhängt.
Wir können befruchtende Impulse jener alten Kulturen in uns aufnehmen - aber wir sollten uns davor hüten, darin eine Authentizität zu markieren, deren aufmerksame Überprüfung uns lediglich als hoffnungslose Scharlatane entlarven müßte !

         Matthias Wenger
 

Quellen

Carlo Ginzburg: Die Benandanti - Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert, Hamburg 1993

Carlo Ginzburg: Hexensabbat - Entzifferung einer nächtlichen Geschichte, Frankfurt a.M. 1993

Eva Labouvie: Zauberei und Hexenwerk - Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1993

(Erstmals veröffentlicht in HAIN Nr. 25 vom August 1997)