Birgit Wenger
Hundebilder, Menschenbilder –
Der Faktor Mensch in der Entwicklung des Hundes
Niemand wird bestreiten, dass der Hund kein
reines Naturprodukt, sondern das Ergebnis von Domestikation und menschlichem
Einfluss ist.
Soweit ist alles ganz einfach und
keinen großen Vortrag wert.
Die Probleme tauchen auf, wenn man
den Prozess der Domestikation und der Rassenentstehung genauer anschaut.
Wenn man sich fragt, seit wann und warum es den Hund gibt. Und vor allem:
Wie ist er wirklich entstanden? Welche Rolle spielte der Mensch dabei? Wie
lange dauert dieser Einfluss wirklich?
Und darüber hinaus: Was sagen
unsere Theorien über uns aus? Wie viel Einfluss sind wir bereit, früheren
Menschen zuzugestehen?
Nicht zuletzt stellt sich auch die
Frage nach dem Einfluss, den der Hund auf uns gehabt hat und hat.
1. Ab wann ist der Hund ein Hund?
1.1 Woran erkennt man einen Hund
im Unterschied zum Wolf?
1.2 Die ersten Hundefunde
1.3 Zuordnungsstreitigkeiten – oder:
Was nicht sein darf, das kann nicht sein!
1.4 Hunde im Mesolithikum und jüngeren
Neolithikum
2. Wie ist der Hund entstanden? Welchen
Einfluss nahm der Mensch?
2.1 Was ist Domestikation?
2.2 Selbstdomestikation? Was
musste der Mensch tun?
2.3 Wie lange dauert es, um aus einem
Wolf einen Hund und aus einem Hund einen
Rassehund
zu machen?
3. Warum haben wir Hunde? Philosophisches
und Stammesgeschichtliches
3.1 Die Turkana
3.2 Differenzierte Gesellschaften
und ihre Hunde: Mayas, Ägypter, Babylonier
3.3 Und wir?
4. Hundezucht der Gegenwart – Zeig
mir deinen Hund und sag dir, wer du bist…
4.1 Der Deutsche Schäferhund
4.2 Einsicht und Umkehr: Elo, Eurasier,
Wäller, Labradoodle
4.3 Uneinsicht und Umkehr: Hybriden
5. Ausblick: Viele Fragen, wenige
Antworten
Sorry, leider keine Bilder im Handout,
weil dann Urheberrechte verletzt würden.
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1. Ab wann ist der Hund ein Hund?
1.1 Woran erkennt man einen Hund
im Unterschied zum Wolf?
Hund und Wolf haben mehrere anatomische
Unterschiede. So kann ein einziger gefundener Knochen durchaus Auskunft
darüber geben, ob es sich um Hund oder Wolf handelt.
Der Unterkiefer des Hundes hat
hinten einen dornartigen Fortsatz. Es ist der Unterkiefer eines Allesfressers.
Haushunde haben neben dem verkümmerten
Daumen an den Vorderläufen auch so genannte Afterzehen an den Hinterläufen.
Nicht jeder Haushund hat sie, und nur der asiatische Rothund, nie der Wolf.
Afterzehen sind ein untrügliches Haushundekennzeichen, wenn sie nicht
in Asien gefunden werden.
Das Trittsiegel von Hund und Wolf
ist sehr unterschiedlich.
Hunde schränken, d.h. beim
Trab stellt sich der Körper in der Längsachse schräg zur Bewegungsrichtung.
Damit sind Spuren von Wolf und Hund unterscheidbar.
Hundezähne sind kleiner als
bei Wölfen.
Der Hirngrößenwert (Verhältnis
des Hirngewichts zum Körpergewicht. Ersteres lässt sich aus der
Schädelhöhle, zweites aus den übrigen Knochen schließen.):
Er ist bei Hunden viel kleiner als bei Wölfen.
Ein Problem ist, dass man nur von
heutigen Hunden und heutigen Wölfen ausgehen kann. Man weiß nicht,
ob eine Art sich verändert hat. Es scheint aber doch so, dass
die Arten vom Paläolithikum bis heute eher kleiner als größer
wurden (Säbelzahntiger, Höhlenbär, -löwe Mammuth). Kleinere
Wölfe als heute erscheinen daher unwahrscheinlich.
1.2 Die ersten Hundefunde
Der älteste Fund ist ein Unterkiefer
mit typischen Hundekennzeichen (Größe, Zahnanzahl, Dornfortsatz).
Er kommt aus der Provinz Saanxi/ Choukoudian bei Peking und wird auf ein Alter
von 400 000 Jahren geschätzt. Es gab auch einen solchen Fund in Lantian.
Zeitgleich hat bei La Quina (heutiges
Spanien) vor 135 000 Jahren ein Hund einen Rentierknochen benagt. Die Archäologen
können die Größe der Zähne sowie die Beißkraft
feststellen: Was beides auf einen frühen Hund schließt.
In Alaska (Ykon, Old Crow Bassin)
wurden die gleichen Unterkiefer gefunden wie in China. Sie sind nach der
C14 Methode auf -30 000 bis -40 000 Jahre geschätzt worden. Interessant:
Es gab zwei Größen: Ein foxterrierartiger Kiefer mit kleinen
Zähnen und kleinem, stark gewölbten Kiefer und ein malamutartiger
Kiefer mit größeren Zähnen. Die Schnittmenge ist nicht vorhanden!
Es muss zwei selektierte Schläge gegeben haben, die sich untereinander
nicht verpaarten (verpaaren durften). Das aber ist selektive Zucht!
In Europa und Vorderasien wurden
im Paläolithikum und Mesolithikum Knochen von Hunden gefunden. Der
Hirngrößenwert dieser Skelette legt den Hund nahe. Der älteste
Fund im heutigen Deutschland ist ein Kiefer aus Oberkassel (-14 000).
In der Höhle von Chauvet (Frankreich)
fand man eine eindeutige Hundespur (Trittsiegel und Schränken) (-25
000 bis -30 000 Jahre). Man fand keine Abbildung von Jagdszenen mit Hunden
– aber Jagdbilder – daher gab es lt. Lehrmeinung keine Jagdhunde.
Hunde im Paläolithikum? Zimen
glaubt, ja, denn die Ressourcen zur Domestikation waren im ausgehenden Paläolithikum
vorhanden: Die Menschenknochenfunde stammen von großen, gesunden,
nicht hungernden Menschen. Die Bevölkerungsdichte blieb dennoch gering.
Es gab Grubenfeuer in den Häusern, Nähnadeln, Rundhäuser aus
Tierhäuten mit 6m Durchmesser, Handelsbeziehungen von über 200km,
die Hütten waren z.T. mit durch Ritzungen geschmückten Schieferplatten
ausgelegt. Diese Erkenntnisse der Archäologie in den letzten 30 Jahren
nimmt die Zooarchäologie aber nicht zu Kenntnis. Hier wird weiter behauptet,
die Menschen hätten am Existenzminimum gelebt und keine Ressourcen für
die Domestikation.
1.3 Zuordnungsstreitigkeiten – oder:
Was nicht sein darf, das kann nicht sein!
Nach archäologischer und zoologischer
Lehrmeinung ist der Hund nicht älter als 100 000 Jahre (Vorläufer)
bzw. 10 000 Jahre (erste Nutzung als Jagdhelfer im Mesolithikum).
Und so hat Benecke (1987) alle Funde
vor Catal Hüyük, vor allem die in der Ukraine (Mezin) kurzerhand
zu kleinen gefangenen Wölfen umbenannt. Auch Zimen hat beobachtet,
dass Zoowölfe mit der Zeit und den Generationen kleinere Kiefer und Zähne
ausbilden. Das bleibt aber die Antwort schuldig, warum Menschen sich der
Gefahr ausgesetzt haben, Wölfe zu fangen und zu halten, wenn sich daraus
kein Nutzen ergibt. Olsen ordnet die älteren Funde weiterhin dem Hund
zu.
Der Oberkasseler Kiefer (gefunden
1914) wurde 1990 anatomisch eindeutig dem Hund zugewiesen (Dornfortsatz,
Länge der Reißzähne). Das wird von Archäologen und Historikern
aber abgelehnt. Begründung: Es kann kein Hund sein, denn der Hund wurde
erst -10 000 domestiziert.
So werden aus Hunden kurzerhand Wölfe.
Und aus Hunden, über die man nun wirklich nicht streiten kann? Die
werden einfach jünger gemacht. Bei den Hundefunden aus den USA wird
die Datierung angezweifelt: Wären sie wirklich 8000 und 10 400 Jahre
alt, dann muss der Hund mit der ersten Einwandererwelle „über die während
der Eiszeit trocken gefallene Beringstraße nach Nordamerika gelangt
sein. Da diese Landbrücke nur so lange bestand, wie große Wassermassen
im Kontinentaleis gebunden waren, muss diese Einwanderung allerdings noch
während der Eiszeit erfolgt sein.“ (ZIMEN 111) (Also vor 30 000 Jahren,
denn vor 20 000 Jahren begann das Eis bereits zu schmelzen.) Das hieße
aber, dass es in Europa im Paläolithikum Hunde gab – und das kann ja
nicht sein.
G. und S. Beckmann schließlich
meinen, dieser Wildhund (-400 000) sei der Vorläufer des Hundes. Da Wildhunde
einen Allesfresserkiefer und -gebiss aufweisen, sind diese Funde kein Beweis
für eine durch den Menschen vorangetriebene Domestikation. Domestiziert
wurde der Hund dann als letzter, lange nach den Schafen und Ziegen. Aber
warum soll der Mensch ca. 3000 Jahre Herden gehabt haben und erst dann den
Herdenschutzhund gezüchtet haben, wo doch Wildhunde verfügbar waren?
Molekulargenetische Untersuchungen
der mitochondrialen DNA der Hunde sollten Licht ins Dunkel bringen. Die
erste Untersuchung (2000) ergab ein Alter von weit über 100 000. Die
zweite (2002) von 14 000 Jahren. Man zweifelt an dieser Methode, wenn man
solches liest.
1.4 Hunde im Mesolithikum (-10 000)
und jüngeren Neolithikum (-4000)
Im Mesolithikum und besonders im
ausgehenden Neolithikum schließlich häufen sich die Funde, und
jetzt ist es nicht mehr zu bestreiten: Die Menschen hielten Hunde. Sogar
unterschiedliche Schläge sind bekannt: Der Windhund und der Molosser.
Es wird angenommen, dass zwei Dinge
für die Verwendung als Jagdhelfer Voraussetzung sind: Die Erfindung
von Fernwaffen (Pfeil und Bogen statt Speer und Keule) und die zunehmende
Bewaldung, die die alten Jagdmethoden ungeeignet machte.
Durch die neuen Jagdmethoden und
schließlich auch durch den differenzierten Einsatz des Hundes kam
es zu Bevölkerungsexplosion, die schließlich in die Nahrungsversorgung
durch Getreideanbau aufgefangen wurde.
In der Jaguargrotte/Idaho/USA ist
ein Unterkiefer von einem großen, sehr kurzschnauzigen Hund gefunden
worden. Er ist 10 400 Jahre alt (C14 Methode). 8000 Jahre Hundeteile wurden
in Illinois und Arizona gefunden.
Gut erhaltene Hunde sind die Nordischen
Torfspitze mit rötlichem Fell, die -6000 Jahren im Gebiet der heutigen
Schweiz die Pfahlbauten bewachten. Damit ist der Spitzartige noch vor dem
Windhund der älteste gefundene Schlag.
Es stellt sich aber folgende Frage:
Wenn der Prozess der Hundwerdung doch tausende von Jahren gedauert haben
soll (Zimen, Feddersen-Petersen), warum findet man im Mesolithikum mindestens
zwei Schläge und im ausgehenden Paläolithikum nur Wölfe? Wann
haben denn die Menschen diesen angeblich jahrtausende dauernden Prozess begonnen?
Verbreitete sich der Hund wirklich
erst im Mesolithikum, wie die vielen Funde nahe legen? Kann die Fundhäufung
des Mesolithikums nicht darauf zurückzuführen sein, dass sich
Moore bildeten, die alles gut konservierten? Während die Konservierungsbedingungen
in den Epochen davor eben nicht so gut waren? Die wenigen paläolithischen
Funde stammen natürlich aus den wenigen Regionen mit durchgehend guten
Konservierungsbedingungen (Gebirge, Kontinentales Klima).
Außerdem gibt es nur wenige
paläolithische Zeichnungen, weil generell wenig gezeichnet wurde oder
die Zeichnungen verschwunden sind. Kann man überhaupt von der Anzahl
der Funde, die ja nur einen winzigsten Ausschnitt der damaligen Realität
zeigen, auf die Verbreitung schließen?
Und: können wir vom Fehlen von
Abbildungen auf eine Nichtverwendung des Hundes schließen? Können
Hunde nicht schon im Paläolithikum als Jagdhelfer gebraucht werden? Ein
Mammut oder einen Höhlenbären auf eine Schlucht zuzutreiben ist
lebensgefährlich. Aber einen Hund zu treiben, der einen Bären treibt,
ist weniger gefährlich. Ein wehrhaftes Tier umzubringen, ist lebensgefährlich.
Aber die Hunde darauf zu hetzen und nur den Rest zu erledigen, ist weniger
gefährlich und spart menschliche Energie. Und: In Chauvet wurden keine
jagenden Menschen abgebildet, nur Wildtiere und von Speeren getroffene Wildtiere.
Wurde der Hund genauso wie der Mensch deshalb nicht abgebildet, weil er
wie der Mensch lebte, ein Haustier war?
2. Wie ist der Hund entstanden? Welchen
Einfluss nahm der Mensch?
2.1 Was ist Domestikation?
Domestikation ist die Kontrolle des
Menschen über eine Tierpopulation im Bezug auf Vermehrung und Versorgung.
Domestizierte Tiere sind wesentlich zahmer als Wildtiere und weisen Charakteristika
auf: Verlängerung der Jugendphase (Neotenie), erhöhte Fruchtbarkeit,
verfrühte sexuelle Reife, Kleinwuchs, Verringerung des Ausdrucksverhaltensrepertoires.
Domestikation erzeugt keine neuen Arten, sondern nur Unterarten, da eine
Rückkreuzung mit der Wildform biologisch möglich bleibt.
Wölfe und Hunde paaren sich
auch in freier Wildbahn. Aber nur einsame und verstoßene Wölfe.
Außerdem finden die Hybriden keinen Kontakt zu beiden Arten und verschwinden
wieder. Sie jagen schlechter und erleben seltener das fortpflanzungsfähige
Alter. Sie finden dann keinen Partner. Nur da, wo Wölfe am Aussterben
sind, gehen die letzten ihrer Art in die Hundepopulation ein und unter. Eine
stabile Population von zutraulichen Wölfen setzt den Menschen als Helfer
voraus.
2.2 Selbstdomestikation? Was
musste der Mensch tun?
Der Hund ist aus dem Wolf, vielleicht
aus dem Rothund entstanden. Aber wie?
1. Seit Konrad Lorenz wird die Geschichte
erzählt, vom Jäger, der die Wölfe sah und bewunderte und
mit ihnen jagen wollte. Deshalb nahm er Welpen mit nach Hause und ließ
sie von seiner Frau großziehen. Dann nahm er sie mit auf die Jagd.
2. Auch die großen Parallelen
im Sozialverhalten sollen Anlass der Domestikation gewesen sein.
Beide Ideen haben gleich mehrere
Haken:
Wir kennen heute das Ergebnis der
Domestikation des Wolfs. Die Menschen damals konnten nicht absehen,
was aus dem Wolfsabenteuer wird. Ein Kalkül kann man ihnen also nicht
unterstellen. Wölfe sind zwar zu zähmen: Zimen hat 22 Welpen gezogen,
davon wurden 8 wirklich zahm. Aber nur einer schloss sich Zimen lebenslang
an. Möglich also, dass Wölfe irgendwie gezähmt wurden. Die
Scheuen flohen, die Zahmen aber Aggressiven wurden getötet und die wenigen,
die sich benahmen, durften bleiben. Für die Jagd und den reinen Hausgebrauch
allerdings ist ein Wolf völlig ungeeignet: Man kann sich mit ihm nicht
an Beute anschleichen, denn er ist ein Hetzjäger. Außerdem ist
kein Wolf gewillt, seine Beute zu teilen. Auch gezähmte Wölfe,
etwa Gehegewölfe, sind nicht mit Hunden zu vergleichen. Und: Es gab
weder Zwinger noch Ketten.
Die These vom gleichen Sozialverhalten
stimmt zwar, ist aber ein Gegenargument zur Wolfsdomestikation: Genauso
wie Menschen sind Wölfe extrem Rangexpansiv. Sie drücken alles
Schwächere an den Rand und setzen ihre Interessen notfalls mit Gewalt
durch. Das kann gefährlich werden.
Also hat der Wolf sich selbst domestiziert?
Die andere Geschichte ist die von Abfall fressenden Kulturfolger, der irgendwann
von selbst zum Hund wurde, weil sich nur diese Individuen verpaarten. Es
soll dann zu mindestens fünf Mutationen (Ringelrute, Afterzehen, Schlappohren,
Fellfarben, Trittsiegel) in 2000 Jahren gekommen sein. Die Menschen duldeten
nur die unterordnungsbereiten Individuen.
Aber schon diese Duldung ist ein
Akt von Selektion. Außerdem ist eine derart gehäufte Mutationsrate
bei Nichtmutation aller anderen Arten nicht wahrscheinlich. Außerdem
hat der menschliche Abfall nicht ausgereicht, Wölfe zu nähren. Sie
mussten zusätzlich jagen oder gefüttert werden.
Der neueste Forschungsstand (Susan
Crockford, 1998 und 2000) geht von folgender, plausibler Theorie aus:
Der Wildhund ist aus dem Wolf erstens
sehr schnell und zweitens rein zufällig entstanden. Die Menschen hinterließen
ihre Ausscheidungen an immer demselben Platz in der Nähe ihrer Lagerstätten.
Diese Ausscheidungen waren für (Raub)tiere interessant. Sie nutzten
den Urin, um Mineralien aufzunehmen und den Kot zur Überdeckung des eigenen
Körpergeruchs.
Es wagten sich vor allem die stresstoleranteren
Tiere an diese Salzleckstellen. Das Salz aus dem Urin beeinflusste zusätzlich
die Schilddrüsenfunktion dieser Tiere. Das Schilddrüsenhormon
Tyroxin wird über den Hypothalamus beeinflusst. Es steuert vor allem
zwei weitere Stoffe: Das Adrenalin und das Melanin. Das Adrenalin ist für
Flucht- und Schreckreaktionen verantwortlich. Das Melanin steuert die Fellfarbe.
Darüber hinaus sind alle domestikatorischen Merkmale an die Tyroxinproduktion
geknüpft: Größenreduktion, Fangverkürzung, Zunahme von
weißen Abzeichen, Zunahme einheitlicher Fellfarben (schwarz, weiß,
rot, gelb), Abnahme von Fluchtdistanz und Zunahme der Gehorsamsintelligenz,
Zunahme der Fruchtbarkeit (größere Würfe), frühere
sexuelle Reife, Erhöhung der Östrusfrequenz (2 Hitzen/ Jahr), bei
Weidetieren Reduktion der Horngröße. Die meisten Domestikationsmerkmale
werden dominant weitervererbt, vor allem die Fluchtdistanz.
Die Stresstoleranten Wölfe bleiben
am Lager und verpaaren sich mit den dortigen ebenfalls stresstoleranten
Individuen. Nach ca. 20 - 30 Generationen hat sich ein neues Gleichgewicht
der Tyroxinproduktion innerhalb dieser Population eingependelt. Diese sog.
Protodomestikation kommt ohne direkten menschlichen Einfluss aus.
Der Mensch musste also nicht den
Wolf domestizieren, sondern den stresstoleranteren Wildhund.
Ein weiterer Aspekt ist die Fellfarbe.
Fellfarbe und Verhalten hängen zusammen, was logisch ist: Nervenystem
und Haut entstammen beide dem zweiten Keimblatt des Gastrula-Stadiums in der
Embryonalentwicklung. Man hat bei Füchsen festgestellt, dass Rote am
scheuesten, Bernsteinfarbene am zahmsten sind. Silbergraue lagen dazwischen.
Bei Säugetieren sind die Schwarzen die Erregbarsten und Verteidigungsbereitesten.
Zdenko Martinek (1969) hat das bei Hunden erwiesen, wobei weiße Hunde
mit rezessiver schwarzer Anlage sich wie schwarze Hunde verhielten. Kreuzt
man zwei aktive weiße Huskys, so kommen dunkle, schwarze Nachkommen!
An die Fellfärbung und das Verhaltens ist keine moralische Wertung geknüpft
– kein Grund für unreflektierte Rassismen!
Man kennt Albinotiere als Begleiter
von Schamanen. Albinos sind zahmer als wildfarbene Tiere und zwar auch bei
anderen Säugetierarten (Füchse, Bären, Mäuse). Kreuzt
man Albinos mit der Wildform, erhält man alle möglichen Farbvarianten
und erhöht die Mutationsrate. Für diese Kreuzung ist allerdings
der selektive Einfluss des Menschen nötig: Albinowölfe oder
-wildhunde können sich nicht paaren: Sie finden keinen Partner, denn
sie haben oft Sehbeeinträchtigungen und niemals die zur Paarung nötige
Alpha- oder Betastellung im Rudel.
Der vorletzte Aspekt ist die Inzucht:
Ein verändertes und weiter vererbtes Trittsiegel hat Trumler schon
bei der F3 seiner Dingokreuzungen erzielt.
Und zuletzt: Haben Sippen ihre zahmen
Wildhunde ausgetauscht und verschiedene Schläge gekreuzt, so wie Trumler
seine Dingoschläge?
Die Domestikation des Wolfes war
ein Experiment. Wenn da plötzlich (30 Generationen sind plötzlich!)
eine gravierende Veränderung in der Natur wahrgenommen wurde, hat das
mit Sicherheit die Neugier der Menschen geweckt. Die Menschen nahmen damals
jede kleine Veränderung viel schneller und viel stärker wahr als
wir heute, weil von dieser Wahrnehmungsfähigkeit ihr Überleben abhing.
Und sie sahen schon damals, ob ein Kind Mamas Nase und die Clan – Ohren hatte.
Mit dieser angenehmen Veränderung
(zahme Wildhunde) werden sie experimentiert haben, ohne ein bestimmtes Ergebnis
im Kopf gehabt zu haben. Die Ressourcen waren bereits im Paläolithikum
vorhanden.
(Ein guter Vergleich sind Röntgenstrahlen
und Kernspaltung. Absolute Zufallsfunde! Man wusste lange nichts damit anzufangen
und experimentierte im künstlerischen Bereich. Jahrzehnte später
kam einer auf de Idee, mit Röntgenstrahlen Knochenbrüche zu diagnostizieren
und mit Kernspaltung Bomben zu bauen. Am Anfang steht das Faktum, dann fängt
der Mensch an, damit zu spielen und dann findet er die Verwendung.)
2.3 Wie lange dauert es, um aus einem
Wolf einen Hund zu machen? Überraschende Kreuzungsexperimente…
Man hat in den 60er Jahren Füchse
gekreuzt und deren Fluchtdistanz von 150cm auf 30cm reduziert und zwar in
3 – 5 Generationen! Das Sozialverhalten der Füchse machte sie aber
für die weitere Domestikation ungeeignet.
Man hat Albinoratten und Albinokaninchen
mit der jeweiligen Wildform gekreuzt und schon in der F1 alle Farben und
verschiedene Schwanzlängen (Ratten) erzielt.
Zimen (80er) kreuzte Pudel und
Wölfe. Die F1, F2, F3 war extrem scheu. Sie lebten zwischen zwei
Welten: Sie ließen Nähe zu wie Hunde, aber jedes Erschrecken löste
Wolfsverhalten aus und führte dazu, dass die Tiere zubissen, weil der
streichelnde Mensch ihre Fluchtdistanz überschritten hatte. Interessant
sind die verschiedensten Formen, die sich schon der F2 zeigten.
Trumler (60er und Anfang der 70er
Jahre) kreuzte Dingoschläge. Die F1 war merklich kleiner, was sich
in F2 und F3 (Inzucht) fortsetzte. Allerdings war ein Rüde größer
und bekam immer größere Nachkommen: Die Erklärung für
große Hunderassen? In der F3 schließlich traten statt der üblichen
gelben auch silbergraue Dingos auf. Außerdem war die F3 insgesamt zahm
und fast schon wie Hunde. Das Trittsiegel war auch anders als bei der Parentalgeneration:
Die mittleren Zehenballen waren verwachsen. Die F3 wies einen interessanten
Charakterzug auf: Sie war im Revier wachsam und zahm wie ein Hund. Außerhalb
des Revieres allerdings scheu wie ein Dingo und unsicher wie – ein Herdenschutzhund!
Exkurs Herdenschutzhunde. Sie weisen
die meisten Domestikationsmerkmale auf einmal auf und sind vom Verhalten
fast wie Wildhunde. Sie haben eine Kombination aus Schlappohren mit Ringelrute.
Sie haben (oft doppelte!) Afterzehen. Sie sind im aussehen extrem anders
als der Wolf und ähneln dem Bären. Sie sind auf die Herde sozialisiert
und verhalten sich im bekannten Revier und mit ihrer Herde souverän und
verteidigungsbereit. Außerhalb ihrer Umgebung sind sie scheu und unsicher.
Ihre Gehorsamsintelligenz ist größer als die des Wildhundes und
kleiner als die des Jagdhundes. Sind sie die ersten „Haushunde?“
Waren es wirklich tausende von Jahren
vom Wolf zum Hund, wie Zimen, Trumler, Feddersen-Petersen und die gesamte
Archäologie meinen?
Und was haben die Menschen zwischen
-400 000 und -10 000 getan? Und zwischen -10 000 und 1900, als man endlich
mit der Reinzucht begann? Warum haben sie die Chance zu schnellen Hundezucht
nicht genutzt? Oder sind der Mensch und der Hund nicht so alt? Oder fehlen
uns nur entsprechende Funde?
Menschen sehnen sich nach Beständigkeit.
Wir mögen es, wenn alles schon immer so war wie es ist. Versetzen wir
unseren und des Hundes Anfang deshalb in die graueste Vorzeit?
Oder dauert es doch mehrere tausend
Jahre, um aus dem Wolf einen Hund zu machen? Und aus dem Wildhund einen
ordentlichen Haushund.
Warum hat man nie Kreuzungsexperimente
zwischen Albinowolf und Wildfarbe gemacht? Warum nicht zwischen Europäischen
Wolf und Asiatischem Wolf, wenn doch Feuersteine von weit entfernt gefunden
wurden.
Die Kreuzungsexperimente legen eher
Zeiträume von 100, höchstens 200 Jahren nahe!
3. Warum haben wir Hunde? Philosophisches
und Stammesgeschichtliches
War die klassische Hundezucht erst
mit dem Patriarchat, dem Anerkennen des zweiten züchterischen Teils
möglich, wie Müller behauptet? Haben nicht schon die ersten Menschen
beobachtet, dass Auffälligkeiten irgendwie in der Familie vererbt wurden?
Die Behauptung einer planvollen Domestikation
zum Zwecke der gemeinsamen Jagd unterstellt, dass das Ergebnis der Domestikation
absehbar war. Außerdem, dass die Menschen in westlichen Kosten-Nutzen-Kategorien
dachten. Beides scheint nach der Betrachtung heutiger paläomentaler
Kulturen fragwürdig.
Was man behaupten kann, ist, dass
sich gesellschaftliche Tabus im Umgang mit den Hunden widerspiegeln. Bsp.
Azawakhs in der Westsahara: Ihre Züchter lassen nur Rüden am Leben,
streng patriarchale Gesellschaft. Aber die Hündin wählt Hund selbst,
so wie Frau Mann selbst wählt!
3.1 Die Turkana und andere paläomentale
Kulturen
Die folgende Darstellung geht davon
aus, dass man aus heute noch existierenden paläomentalen Kulturen auf
die damaligen schließen kann. Die ist der Ansatz von Zimen und auch
von Müller.
Paläomentale Kulturen denken
in Begriffspaaren wie zahm/wild.
Zimen lebte bei den Turkana in Ostafrika.
Dieser Stamm ist patriarchal, kriegerisch, basiert auf Rinderzucht und zieht
umher. Die Rinder gehören den Männern. Die Hunde, Ziegen und Schafe,
Esel und Kamele gehören den Frauen. Dort haben sie mehrere Funktionen:
Sie sind freundliche Begleiter, sie sind Windelersatz. Außerdem spielen
sie mit den Kindern und schlichten Streit unter ihnen. Als Wachhunde taugen
sie insofern, als dass sie bei Bekannten und Fremden unterschiedliche Reaktionen
zeigen, die ihre Besitzerinnen richtig deuten und entsprechend reagieren.
Die Hunde sind niemals mannscharf. Sie helfen auch nicht beim Hüten der
Rinder. Die Frauen kommunizieren mit den Hunden überverschiedene Zischlaute,
die wie TseTsetse klingen und von den Hunden richtig verstanden werden (Komm!
Das Baby muss! Geh weg! Schau dort hin, was ist da?) Eine gezielte Zucht
scheint es nicht zu geben. Es gibt Hunde aller Größen und Farben.
Aggressive Hunde werden allerdings getötet.
Bei den Pygmäen in Zentralafrika
begleiten die Hunde mit Glocken um den Hals die Männer auf Jagd, wo sie
zwar nicht stören aber eher die Funktion eines Maskottchens als die
eines Jagdhelfers haben. Die Hunde gehören hier den Männern. Einige
Bantustämme ernähren ihre Hunde vegetarisch und verzehren sie.
Dasselbe kennt man auch von Gegenden Thailands
(-5500 Jahre Bang Chiang),
Chinas und Vietnams.
Wo Hunde und Menschen zusammenleben,
dienen sie als Beobachter, die Menschen schließen aus ihrem Verhalten,
ob Wild da ist, Fremde, Freunde…
Daraus wird geschlossen, dass der
Hund zunächst als Begleiter, Babysitter und Umweltdienst fungierte.
Und als verlängertes Auge. Als verlängerter Arm diente er erst
später. Jedenfalls in wärmeren paläomentalen Kulturen. In
kälteren paläomentalen Kulturen wie Ainu, Niwkh und den Inuit und
auch bei den Plain-Indianern sah es etwas anders aus. Der Hund war Zugtier,
spirituelles Nahrungsmittel, Schamanentier. Es gab immer mindestens zwei
verschiedne Schläge, die sich deutlich in Größe und z.T.
auch im Körperbau unterschieden. Die Hunde wurden zur Wollgewinnung,
Jagd und als Zugtiere verwendet. Überall wo es kalt ist, dient der Hund
als Wärmflasche. War das in der Eiszeit der Anfang?
3.2 Differenzierte Gesellschaften
und ihre Hunde: Mayas, Ägypter, Babylonier
Das Wort differenziert bezieht auf
ökonomische (Arbeitsteilung) und politische (Herrschaftsapparat) Gegebenheiten
und macht keine moralisch-wertende Aussage. Es ist nicht im Sinn von entwickelt-unterentwickelt
zu verstehen!
Differenzierte und elitäre Gesellschaften
(Ägypten, Babylon, Mesopotamien) zeichnen sich durch die Zucht verschiedener
Gebrauchshundeschläge aus: Windhunde zur Jagd, Molosser als Kriegshunde.
Ägyptische, Altiranische und Hellenistische Medizin kannte den weißen
Knochenkot der Hunde als inwendige Medizin. Bei den Mongolen und den Indoariern
war der Hund Leichenbestatter. Gesellschaften mit Priesterkasten und reichen
Herrscherhäusern wie Tibet, China und die Mayas hatten Hunde, die keine
Gebrauchshunde im üblichen Sinn mehr waren. Diese Hunde dienten der religiösen
Zeremonie und dem Verzehr wie der Xoloitzquintle der Mayas. Oder sie waren
und sind einfach nur schön und wärmen die Kaiserin wie der Pekines,
oder sie sind schön und wärmen die Mönche und bringen großes
Glück wie der Lhasa Apso Wir haben also schon vor 2000 bis 3000 Jahren
Schönheitszuchten. Diese Erscheinungen waren aber in der Minderheit.
3.3 Und wir?
Es scheint so zu sein: Je differenzierter
eine Gesellschaft ist, desto mehr und desto planvoller scheint die Hundezucht
zu sein. Mit dem aufkommenden Bürgertum ab der Renaissance tauchen
immer mehr Schläge auf. In Herrscherhäusern hielt man sich Windhunde
und englische Jagdhunde. Die Bauern hatten ihren Spitz und Howerwart. Die
Schäfer ihre Schäferhunde. Es wurde bei der Zucht streng auf Brauchbarkeit
geachtet. Das Aussehen war zumindest für die Jagd- und Schäferhunde
unwichtig. Die Bauernhunde kreuzten sich im Dorf, die Menschen ließen
die Anzahl Welpen am Leben, die sie brauchten.
4. Hundezucht der Gegenwart – Zeig
mir deinen Hund und sag dir, wer du bist…
Seit ca. 1850 begann man in Europa
mit der sogenannten Reinzucht der Schläge und damit der Entwicklung
von Hunderassen. Während bis dahin allein das Wesen der Hunde, nur bei
Kampfhunden auch das martialische Aussehen entschied, trat nun der kynologische
Wettbewerb und als Kriterium die Schönheit und Rasereinheit in den Vordergrund.
Korrespondierende gesellschaftliche Entwicklungen waren der Nationalismus,
die Industrialisierung mit kapitalistischem Wettbewerb, eine zunehmende Entfremdung
von der Natur und eine extreme Spezialisierung mit neuen Berufen und Herrschaftsstrukturen.
1873 Kennel Club, ältester Rassezucht
– Dachverband. England war auch das am weitesten industrialisierte Land.
1911 Gründung der FCI: Hat heute
Standards aller anerkannten Rassen. Interessant: Über das Wesen der Hund
ca. 3 Sätze, über das Aussehen 3 Seiten.
4.1 Der Deutsche Schäferhund
Auf der Suche nach einem echt deutschen
Nationalhund verfiel man auf die alten deutschen Hüteschläge.
Sie kamen aus Thüringen, Sachsen, der schwäbischen Alb, dem Elsaß.
Es waren Allroundhunde, also sowohl Hütehunde als auch Herdenschützer.
1894 beschwerte sich der Züchter
Beckstein über die Schäfer, die in der Neuzucht keinen Sinn sahen,
ihre Hunde nicht abgeben wollten und nicht zu Ausstellungen fahren wollten.
Als ob ein Berufsschäfer für sowas Zeit hätte!? Und warum sollte
er gute Hunde weggeben und weniger gute, davor aber wölfische, deutsche
züchten!? 1890: Erster Standard, mehrere Varianten in Fell und Farbe.
Bestreben Bluemerle – Luxusschäferhunde zu züchten.
Rittmeister v. Stephanitz gründete
1899 den SV (Stephanitz + 1936). Sein Hund, einer der rassebegründenden
Zuchtrüden, Horanth von Grafrath war ein extremer Raufer, unverträglich
mit Hunden und Menschen. Das war die erwünschte Härte und Mannschärfe.
Um 1920 war die Rasse vom Wesen kaum
mehr führbar: Scheu und Aggressivität nahmen Überhand. Daher
ab 1920 die Ankörung, eine Leistungsprüfung für Zuchthunde.
„Valutahunde“ zu Inflationszeiten
ausgeführt, brauchten Devisen mit Kaufkraft.
Nach dem zweiten Weltkrieg teilte
sich die Rasse in die DDR – Leistungslinien mit höherer Aggressivität
und geradem Rücken, besserer Knochengesundheit. Und die Westdeutschen
Showlinien mit Verkrüppelung der Wirbelsäule und extremer Schreckhaftigkeit.
Noch heute ist die Welpensterblichkeit
mit 12% hoch. Nur unter die Hälfte der Rüden werden über
10 Jahre alt, 64% der Hündinnen, und das bei einer mittelgroßen
Rasse. Die Rasse hat immer noch mit HD, Krebs und Raufern zu kämpfen,
wobei das Raufen gerne heruntergespielt wird.
Auch heute noch ist der Deutsche
Schäferhund ein Fetisch, was der Rasse weiterhin nicht gut tut. Die
schlecht gezüchteten, ausgewählten und ausgebildeten Deutschen
Schäferhunde von privaten Security – Firmen, die wir auf Berliner U-Bahnhöfen
bewundern dürfen, sind ein beredtes Beispiel. Die Polizei verschiedener
Länder hat sich inzwischen auf den leichteren, gesünderen, langlebigeren,
intelligenteren Mallinois verlegt. Das Blindenführhundwesen hat sich
auf den Labrador verlegt. Deutschland hat mit dem Festhalten am Deutschen
Schäferhund seine führende Rolle im Blindenführhundwesen verloren.
Labradore sind weniger sensibel und schreckhaft, leiden weniger an Knochenkrankheiten.
Die Schweiz mit der Schule in Alschwil ist hier führend.
Einige Züchter versuchen heute
die Rasse zu regenerieren und z.T. außerhalb der Szene gesunde Deutsche
Schäferhunde zu züchten.
Ende des 20. Jahrhunderts war die
Rassehundezucht an einem Punkt, der eine Umkehr oder den Untergang nötig
machte: Es gab viele Qualzuchten und rassebedingte Erbkrankheiten. Die Züchter
geben sich heute z.T. wirklich Mühe, z.T. aber auch nur den Anschein,
dass sie wieder auf das Wesen mehr Wert legen. Abgelehnt werden von Rassefreunden
Kreuzungen zum Zwecke der Schaffung eines Familienhundes.
4.2 Einsicht und Umkehr: Elo, Eurasier,
Wäller, Labradoodle
Andere Züchter tun genau das:
Sie erreichen durch gezielte Kreuzung das Leistungszuchtziel: Familientauglicher
Stadthund. Daran ist nichts Schlimmes: Hat doch jede Kultur und jeder Berufsstand
Hunde gezüchtet, die besondere Leistungen zu erbringen im Stande waren.
Bei den Neuzüchtungen wird besonderen Wert darauf gelegt, dass das Aussehen
im Hintergrund steht. So gibt es sie in vielen Größen und Fellfarben.
Einheitlich soll aber der Charakter sein: Kein/wenig Jagdtrieb, Kindertoleranz,
Verträglichkeit mit Hunden und anderen Tieren, kein workoholic, leicht
erziehbar, freundlich, gegen Fremde reserviert, wachsam aber nie aggressiv.
Und diese Hunde sollen gesund sein. Erbgesundheit geht vor Schönheit
und Standard.
Labradoodle: Amerikanische Kreuzungszucht
aus Labrador und Pudel.
Eurasier: Chow-Chow, Wolfsspitz,
Samojede. FCI – Anerkennung 1973. 52 – 60 cm
ELO: Aus Eurasier, Chow_Chow, Bobtail:
Entwickler Marita und Heinz Szobries. 1987
KleinELO: Zusätzlich Pekinese
und Spitz. (um 40cm; 50 -60 cm)
Wäller: Aus Briard und Australien
Shepard. Karin Wimmer-Kiekbusch, 90er Jahre
Elo, Labradoodle und Wäller
streben keine FCI Anerkennung mehr an aus Furcht vor Showzucht. Der Eurasier
ist anerkannt, kann aber bisher sein Leistungsprofil bewahren, weil die Züchter
darauf Wert legen.
4.3 Uneinsicht und Umkehr: Hybriden
Heute leiden wir zunehmend an der
Entfremdung von der Natur. Wir sehnen uns zurück in eine heile, längst
vergangene Welt. Dies z.T. mit einem die Natur verkennendem Romantizismus.
In den USA fordert die Zucht von Hybriden aus Wolf und Hund und vor der
unsachgemäße Umgang mit dem Zuchtergebnis jedes Jahr Tote.
Zwei Hybridrassen hat die FCI als
Rassen anerkannt: Den Tschechoslowakischen Vlak und den Saarlos Wolfhond.
Beides Kreuzungen aus Deutschem Schäferhund und Wolf.
5. Ausblick: Viele Fragen, wenige
Antworten
Es dauert heute 20 bis 30 Hundegenerationen,
um eine neue Rasse mit entsprechendem Charakter und Exterieur Reinzuzüchten.
Leider sind auch negative Erscheinungen wie gesteigerte Aggressivität
und Krankheiten Bzw. Behinderungen so schnell festzuschreiben.
Aggressivität konnte bei Do
– Khis in 10 Jahren Westzucht nahezu wieder herausgezüchtet werden!
Sogar der Saarlos und der Vlak fangen
in der F3 schon an, sich wie Hunde zu benehmen, wenn sie auch alles andere
alles stadttauglich sind. Das waren aber Wolf – Hund Kreuzungen. Warum gibt
es keine Forschung direkt zur Domestikation, also Kreuzungsdexperimente
mit Wölfen? Müsste dann zu viel Geschichtsbild revidiert werden?
Es stellt sich auch die Frage:
Was haben die Menschen all die Zeit hindurch gemacht? Warum nutzten sie das
Potenzial „Wildhund“ erst so spät?
Literatur
Bloch, Günther: Der Wolf
im Hundepelz
Feddersen-Petersen: Hundepsychologie
Kosmos 2004, 3.Aufl.
Müller, Joseph: Auf der
Spur des Gefährten. Kynosophische Zeitreise
Bd. I – IV Club Berger de Pyrénées
e. V. 2003 - 2006
Zimen, Erik : Der Hund. Goldmannn
Verl. 1992, 6.
Aufl.
Vortrag auf dem Berliner Salon für
Forschung & Geschichte am 28. August 2006
(s. www.berlin-forscht.de)