C.G. Jung und der

Nationalsozialismus

 

von Matthias Wenger

 

 

Inhalt

1. Jung und das Neu-Heidentum

2. Die Göttin und der Psychologe - Eine Auseinandersetzung mit dem jungianischen Theoretiker Erich Neumann

3. C.G. Jung und der Nationalsozialismus - eine systematische Chronologie

4. C.G. Jung und der Nationalsozialismus - 4 Thesen

 

 

 

 

1. Jung und das Neuheidentum

Die hier vorliegende Chronik soll Ansatz zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk eines Mannes sein, der in der modernen Esoterik-Szene wie auch im Neu-Heidentum den Rang eines "Schutzgottes" genießt.

Ob man Vivianne Crowleys Darstellung des Wicca-Kults nimmt, oder Freya Asswyns Auslassung über Runen und germanische Götter: Stets dient die jungsche Archetypenlehre als Rechtfertigung nicht mehr weiter hinterfragbarer mythischer Strukturen und Gottesvorstellungen.

Die Idee, daß jeder Mensch mit seinem Reservoir an Archetypen im Handgepäck gewissermaßen auf die Welt kommt, ist die heidnisch-esoterische Variante eines biologistischen Irrationalismus, welcher den Blick von allem abwendet, wie Mythen und Gottesvorstellungen historisch entstanden sind.

In diesem Zusammenhang genießt C.G. Jung den Rang eines Wissenschaftlers, der die innerpsychische Existenz von Göttinnen und Göttern mit experimentell-psychologischer Beweiskraft inszeniert hat.

In hunderten von Büchern werden Jungs Theorien als wissenschaftliches Zeugnis für das Heidentum interpretiert.

Damit begeben sich die Neu-Heiden und Hexen nicht nur auf das erbärmliche Niveau einer biologistischen Mechanik in Bezug auf die eigene Vorstellungswelt. Sie interpretieren auch die heidnische Mythologie auf der Basis einer persönlichkeitszentrierten narzistischen Innenschau, die die äußere Natur und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse absolutem Desinteresse aussetzt.

Dabei wird Jungs wissenschaftliche Kompetenz weitgehend überschätzt. Wer sich jemals darum bemüht hat. Jungs Texte zu lesen und verstehen zu wollen, wird bemerken, daß darin von einer klaren Theorie geschweige denn von wissenschaftlichen Nachweisen seiner Ideen nicht die Rede sein kann.

Im Grunde war Jung ein Märchenonkel, ein Drachentöter jedes kritischen Verstandes, jeglicher politisch-historischer Logik. Folglich wurde Jung auch zum Retter der christlichen Kirchen: Christliche Theologen, mit denen Jung intensiv kommunizierte, konnten die Lehre vom kollektiven Unbewußten und von den Achetypen genauso als Rechtfertigung ihrer "Gottesgelehrtheit" betrachten, wie alle anderen Religionen auch.

Demgegenüber steht die von Jung als "jüdischer Irrweg" bekämpfte Psychoanalyse eines Freud und Reich, deren Ziel die Anerkenntnis des Bedürfnisses nach sexueller Lust als Wurzel menschlicher Existenz darstellte.

Und deren Theorie des Unbewußten von der einfachen Logik ausging, daß das darin vorgefundene aufgrund einr gesellschaftlichen Auseindersetzung dahinein verdrängt worden sein muß.

Zugeben: Auch die patriarchalen Ideenkomplexe der Psychoanalyse bedürfen einer Aufarbeitung. Aber sind nicht einige ihrer Grundannahmen (insbesondere in der reichianischen Interpretation) ein sinnvollerer Ansatz für die heidnische Bewegung, als das Wachsfiguren-Kabinett der Archetypenlehre ?

Jedenfalls zeigt die Betätigung Jungs in den Dreißiger und Vierziger Jahren, daß ihn seine Theorie offenbar nicht in den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen geführt hat. Sind denn die Hexen und Heiden an diesen Werten interessiert ?

2. Die Göttin und der Psychologe - Über die Tücken und Vorurteile einer "esoterischen" Tiefenpsychologie

Die Leser des HAIN werden sich die Frage stellen, was eine Hexe an C.G. Jung und dessen Schülern interessieren sollte - Nun eine ganze Reihe von Gründen gibt es schon, wenn man sich in der esoterischen Philosophie heidnischer Prägung so umschaut, die in den letzten Jahren durch die Seminare, Buchläden und Köpfe vagabundierte.

Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen. Da ist z.B. ein US-amerikanischer Indianer namens Allen C. Ross, der der die Philosophie der Lakota mit Jungscher Psychologie vergleicht und darüber ein spannendes und vielseitiges Buch geschrieben hat ( Wakan Tanka - Im Herzen sind wir alle eins, Neuwied 1992).

Da gibt es eine englische Runenmeisterin (Freya Aswynn), die zur Erklärung der Runen die Jungsche Archetypenlehre heranziehen möchte.

Und da ist die britische Wicca-Priesterin Vivianne Crowley, deren Buch über die Verknüpfung des Wicca-Weges mit der Entwicklung der Psyche nach Jung (genannt Individuation) den schönen Titel trägt: "Wicca als Einweihungsweg".

Jung scheint also in der esoterischen Szene in aller Munde zu sein und die "Göttin als Archetypus" schon fast eine geflügelte Redewendung. Was es mit dem Verständnis der Götter seitens der Jungianer wirklich auf sich hat und was ein "Archetypus" tatsächlich ist, haben sich bisher wenige so ganz genau gefragt. Kaum hat sich wohl schon mal jemand die Mühe gemacht, ein wenig tiefer in die Gewölbe der "Analytischen Psychologie" hinabzusteigen, jenes psychologische System, das von C.G. Jung (1875 - 1961) und seinen Schülern zunächst als Erfahrungswissenschaft, dann als Therapie und schließlich auch als Kulturtheorie entwickelt wurde.

Es ist natürlich immer gut, wenn man das eigene Weltbild "wissenschaftlich" absichern und zu seiner Präsentation Begriffe spielen lassen kann, deren akademischer Touch ins Auge oder vielmehr ins Ohr des Gesprächspartners sticht.

Da gerieten wir nun an das Werk eines Mannes, der, ein Schüler Jungs und jüdischer Herkunft, von 1905 - 1960 lebte und immerhin mehrere große Werke zu den Themen Göttin, Matriarchat und Mythologie schrieb. Und das zu einer Zeit, als sich eigentlich noch niermand so recht mit diesen Dingen im Sinne einer lebendigen Wirklichkeit beschäftigte, weil es eine heidnische Bewegung im heutigen Stil noch gar nicht gab.

Die Rede ist von Erich Neumann. Das Buch, um das es hier geht, die "Ursprungsgeschichte des Bewußtseins" erschien bereits 1949. Und es ist so prall gefüllt mit Überzeugungen vom Wesen der Göttin, des Gottes, der Mythologie und der menschlichen Seele, das wir als heidnisch-naturreligiöse Menschen guten Grund haben, uns ein wenig hineinzuvertiefen. Es berührt Kernprobleme unserer Religiosität und vieler spezifischer Unzulänglichkeiten unser maroden Zivilisation.

Es hebt sich nämlich in einer Hinsicht von vielen moderneren Werken zu diesem Thema ab: es ist nicht die oberflächliche, leichtfertig zusammengerührte Brühe, die sich zum Teil aus den U.S.A. über Europa ergießt.

Es ist geprägt durch eine ungeheuer tiefschürfende Wissensfülle, durch eine teils bis zur Unbarmherzigkeit präzise, messerscharfe Sprache, die sich bemüht, klar und definitorisch zu sein und Exaktes zum Thema zu sagen.

Neumann bemüht sich, Zusammenhänge zwischen der Entwicklungsgeschichte der Menschheit einerseits und der Entwicklung, dem Reifungsprozeß der menschlichen Seele andererseits herzustellen. Gemeint ist also beispielsweise, daß sich bestimmte, typische Tendenzen aus der Vorgeschichte, die man als "Kindheit der Menschheit" verstehen könnte, widerspiegeln in der Kindheit eines menschlichen Individuums.

Wir kennen ähnliche Vergleiche aus der Embryologie: die tierischen Vorfahren des Menschen aus der Evolution treten in bestimmten Formen des Embryos auch wieder auf.

Ebenso wie mit dem menschlichen Körper ist es nach Neumann aber auch mit der menschlichen Psyche. Die Bilder, Gestalten und Themen, die diesen Prozeß illustrieren, findet Neumann in den Mythen, d. h. also in den Geschichten von Helden und Göttern, den uns die verschiedenen alten Kulturen überliefert haben.

Die Mythen haben also symbolische Bedeutung für die Stationen der menschlichen Kulturgeschichte wie auch für die verschiedenen Phasen, in denen sich ein einzelner Mensch entwickelt.

Der Grundtenor von Neumanns Sichtweise der menschlichen Kulturentwicklung besteht eigentlich in einem Bekennnis zum Fortschritt, Fortschritt verstanden als ein positiver Wachstumsprozeß.

Gewachsen sei die Bewußtwerdung bzw. Bewußtheit der Menschen. Ursprünglich in einem Zustand dumpfer, traumhafter Unbewußtheit und Verinnerlichung in sich selbst versunken, hätten sich die Menschen langsam der Wirklichkeit geöffnet. Aus dem Meer des Unbewußten sei langsam aber stetig die kleine Insel des bewußten Erlebens aufgestiegen, immer in der Gefahr, wieder in den Urgründen des Unbewußten zu versinken. So hat der Mensch mit der Zeit den Zustand einer tierhaften Instinktivität verlassen, hat Bewußtheit und das ICH erlangt - damit sei er aber auch erst eigentlich zum Menschen geworden.

Schon diese Darstellung muß eine gewisse Skepsis in uns wecken - Ist doch der Fortschrittsglaube eine geistige Folgewirkung der Industrialisierung und des wissenschaftlichen Verstandesdenkens. So merken wir z.B., daß der technologische Fortschritt augenblicklich zu einem massiven Rückschritt in der Entwicklung des Lebens auf der Erde führt. Bis hin zur Gefahr seiner Vernichtung.

Auch entsteht das Problem der Unterscheidung zwischen "bewußt" und "unbewußt". Darüber nachzudenken, muß für den neuzeitlichen Esoteriker lohnenswert sein, kreisen doch viele Zielsetzungen spiritueller Systeme um den Begriff der "verstärkten Bewußtwerdung".

Jedenfalls versteht Neumann die Menschheitsgeschichte als einen Weg aus der Dunkelkheit heraus zum Licht.

Welche geschichtlichen Abschnitte sind es denn nun, die er mit jener "dunklen Zeit" des Anfangs in Verbindung bringt ?

Es ist die Zeit des Matriarchats, der spezifischen Kultur und Herrschaft der Frau, die dann irgendwann vom Patriarchat abgelöst worden sei. Aus der dringenden Erfordernis einer Emanzipation des Mannes heraus, die erst die Männerbünde zustande brachte und dann das Patriarchat in seiner späteren Form. Neumann folgt in seiner Grundauffassung dieses Prozesses den Theorien Bachofens (1815 - 1857). Dessen Werk "Das Mutterrecht" (1861) schilderte die Überreste einer weiblich bestimmten Urkultur in tiefschürfender Komplexität - allerdings überladen mit seltsamen Vorurteilen und bezüglich der indischen oder der altägyptischen Kultur mit herzlich wenig Sachkenntnis.

In welchen Stadien kommt aber nach Neumann die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zum Ausdruck ?

Da ist als erstes der Zustand des "Ouroboros" - ein Begriff, den Neumann aus der Gnosis nimmt. Er beinhaltet hier das Bild der Schlange, die sich in den Schwanz beißt als Sinnbild der sich ewig aus sich selbst heraus erneuernden Energie. Er identifiziert das Ouroboros-Symbol mit dem Drachen und setzt es für den Zustand des im ursprünglichen Zeugungs- und Nahrungskreislauf befindlichen Primitiv-Menschen, gleichzusetzen dem Kleinkind in seiner Abhängigkeit vom Mütterlichen.

Der Ouroboros bleibt aber als Sinnbild merkwürdig unklar. Stellt erdoch nicht nur das in sich Ruhende des Menschen in seiner Beziehung zum Mütterlichen dar, sondern auch das Väterliche als "Beginn des Werdens in der Selbstzeugung". Dieser Zustand sei also einerseits gekennzeichnet von Autarkie, Vollkommenheit und inzestuöser Urlust - andererseits aber auch von absoluter Bindung und Geschlossenheit gegenüber der Außenwelt.

Sodann schildert Neumann in grellbunten Farben die Herauslösung des Ich-Bewußtseins aus diesem Urzustand: Erst in Form des Sohnes, der wesentlich phallischen Charakter habe und mit der Inzestverlockung einerseits und der Gefahr der Zerstückelung, Verstümmelung und Kastration durch die Große Mutter andererseits konfrontiert sei.Ein paar hochspezifische und in dieser Form kaum wieder auf dem Erdball auftauchende Überlieferungen über Kastrationsriten Vorderasiens werden von Neumann herangezogen, um den dämonisch-verschlingenden Aspekt der Urmutter als universelle, allgemeingültige Erscheinung zu postulieren.

Und hier sind wir schon an einem zentralen Problem der ganzen modernen Mythenforschung angelangt, dem nicht nur Erich Neumann großzügig seinen Tribut zollt: Um einen bestimmten geschichtlichen Prozeß oder irgend einen psychologischen Gegenstand zu untermauern, werden willkürlich Elemente aus geschlossenen mythologischen Systemen herausgebrochen, oder es werden irgendwelche historiographische Splitter mythischer oder ritueller Schilderungen benutzt, um damit etwas zu beweisen.

Im vorliegenden Fall soll bewiesen werden, daß der Wunsch des ICH-Bewußtseins nach "Befreiung" von der urmütterlich-inzestuösen Dumpfheit stets vom Mütterlichen bedroht bleibt. Notfalls mit Entmannung oder körperlicher Vernichtung. Es ist gleichzeitig eine Reduzierung der archaischen Frau auf Nahrungs- und Sexualfunktionen und eine Reduzierung des Mannes auf das Phallische.

Ich wage die Frage zu stellen, ob hier nicht unsere unbefriedigte Sexualität auf die Frühmenschen projiziert wird - ob nicht auch die absolute Bindung des Mannes an seine Mutter eine Übertragung der bedrückenden Enge des kleinfamiliären Rahmens unserer Tage auf die Situation des Urmenschen darstellt. Denn wie wir aus ethnologischen Berichten wissen, gibt es diese enge Eine Mutter- ein Kind -Beziehung bei matriarchalisch orientierten Naturvölkern gar nicht, weil die Menschen viel stärker am Sozialen, an der Gemeinschaft orientiert sind und nicht an unserer Drei-Personen-Familie.

Es ist also festzuhalten, daß das Weibliche schlechthin mit Unbewußtheit und Dunkelheit assoziiert wird, während das Männliche Bewußtwerdung und Erkenntnis verkörpert.

Diese Trennung in Bewußtes und Unbewußtes vollzieht sich aber nicht nur in der Loslösung des Sohnes aus der Großen Mutter heraus, sondern zugleich auch in der Loslösung der in ewiger, ekstatisch-bewußtloser Zeugung miteineinder verbundenen "Ureltern".

Offen bleibt die Frage, warum bei Erich Neumann alles sexuelle Tun, alle innige körperliche Verbundenheit von Männern und Frauen dunkel und unbewußt sind - obwohl sie doch eigentlich von einem Höchstmaß von Gewahrwerdung, Aufmerksamkeit und Empfinden des anderen Menschen gekennzeichnet sind. Überträgt er hier vielleicht auch wieder eine Form entarteter männlicher Sexualität der Gegenwart auf die Urzeit ? Wir weisen nur am Rande darauf hin, was Wilhelm Reich in seiner "Funktion des Orgasmus" über die moderne Pathologie der Sexualität geschrieben hat !

Wie geht es nun aber weiter in der Emanzipation des Ich im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte ? Der ursprüngliche Sohn-Geliebte, ständig stimuliert und angeregt durch den Inzest und bedroht durch die Kastration, beschließt, sich zur Wehr zu setzen. Die Mythen vom Drachenkampf legen nach Neumann Zeugnis ab von der erfolgreichen Überwindung der mütterlichen Umklammerung durch den jungen Helden. Dieser Held ist hier im Verhältnis zum bloßen Sohn-Geliebten eine neue Spielart Mensch und eine neue Phase des Bewußtseins. Man muß sich klar darüber werden, daß es für den Helden nur einen Weg zur Befreiung gibt: Die Vernichtung des Drachen, d.h. die Tötung der Mutter. Es ist überaus aufschlußreich, daß Freuds Theorie vom Vatermord als Ursprung der Kultur- und Religionsentwicklung (in "Totem und Tabu" 1912/13) hier nur eine Abwandlung erfahren hat. Obwohl Neumann dann noch den Vatermord als notwendige Vorbedingung zur vollkommenen Befreiung des ICH hinterherschiebt.

Überhaupt zeichnet sich Neumann dadurch aus, daß er zentrale Wertschätzungen der Psychoanalyse Freuds weiterhin verwendet, ohne sie kritisch zu diskutieren: Beispielsweise das Über-Ich als innerseelische Widerspiegelung des Vaters oder die "Verfeinerung" (Sublimation) der sexuellen Energie in Form von absurden Symboldeutungen (z.B. die Krone des Osiris als "Geistphallus").

Der Grundgedanke ist: Ein eigenständiges Wesen kann der Mensch nur dadurch werden, indem er jene vernichtet, die ihm dabei (scheinbar) im Wege stehen; und wenn das auch nur sinnbildlich geschieht: Was ist das für ein Verständnis von Gesellschaft, von Ethik, von menschlichem Zusammenleben ? Ich finde es ziemlich erschreckend.

Schließlich wird ein mythologisches Motiv behandelt, das in der Schilderung der Drachenkämpfe von herauasragender Bedeutung ist: Die Gewinnung des Schatzes, den der junge Held gewonnen hat, indem er den Drachen als dessen Besitzer und Bewacher tötete.

Dieser Schatz ist nach Neumann nichts anderes als das dem Ich-Bewußtsein des Helden adäquate Wesen des Weiblichen - nicht in seiner Form als Mutter, sondern als Anima, als gleichberechtigtes Gegenüber, als kameradschaftliche Weiblichkeit für den Mann. Den Schatz gewinnen, indem man (!) den Drachen tötet, bedeutet, ein für das ICH brauchbares Weibliches aus dem Mutter-Archetypus herauszuarbeiten, gleichsam aus seinen Krallen herauslösen.

Was aber ist denn ein Schatz überhaupt ? Es ist eine Form gehorteten Eigentums, also Reichtum. Wo Eigentum in dieser "behüteten" und damit abgegrenzt bewachten Form vorhanden ist, da gibt es auch einen Eigentümer. Verfolgen wir die Symbolik der Begriffe konsequent weiter: Wenn der junge Held Eigentümer der Frau ist, die er gewann, dann haben wir hier die Entstehung des Patriarchalischen aus einer Verwandlung der Besitzverhältnisse heraus, aus einer Hortung, Verknappung und Privatisierung dessen heraus, was in einer mutmaßlichen matristischen Gesellschaft nicht nur ihm allein, sondern allen zur Verfügung stand. Warum mystifizieren die Jungianer diesen von ihnen in Symbolen zutreffend geschilderten Vorgang, indem eine innerseelische Emanzipation des Mannes als zwangsläufiger geschichtlicher Prozeß daraus gemacht wird ? Damit wird nämlich nicht allein die Entstehung des Patriarchats als rein tiefenpsychologischer Vorgang geschildert, sondern gleich auch noch die Entstehung der Sklavenhaltergesellschaft esoterisch verbrämt !

Der nächste Schritt ist dann, exemplarisch dargestellt anhand eines Exkurses über den ägyptischen Gott Osiris, die Verwandlung des Helden in den "Großen Einzelnen" und dessen Unsterblichmachung - im Sinne einer Ewigkeit und Unzerstörbarkeit des Ich-Bewußtseins. Die Bestattungsriten der Ägypter werden in diesem Zusammenhang symbolisch gedeutet.

Warum aber war diese neue Form von Unsterblichkeit notwendig, wo doch in der alten Überlieferung die Unsterblichkeit durch den ewigen zyklischen Wechsel zwischen Erdoberfläche und Unterwelt zu Genüge gewährleistet war ?

Was Neumann bis zu diesem Punkt anhand von Beispielen aus den Mythen und in geschichtlicher Hinsicht zu zeigen versucht, wird im zweiten Teil nochmals auf abstrakter Ebene dargestellt: In Form einer Schilderung von Gesetzmäßigkeiten der individuellen Psyche in ihrem Entwicklungsverlauf.

Dieser Parallelisierung liegt die Vorstellung zugrunde, daß die menschliche Seele bestimmte stammesgeschichtliche Erfahrungen des Menschengeschlechts "gespeichert" und damit verinnerlicht hat, so daß sie sie in den einzelnen Phasen der Individualbiographie nur noch "abzurufen", zu aktivieren bzw. zu aktualisieren hat. C.G. Jung bezieht sich bei dieser Sichtweise immer wieder auf Erfahrungen, die in unvorstellbar langen geschichtlichen Zeiträumen im Sinne der Evolutionsgeschichte unendlich oft wiederholt, schließlich verinnerlicht und damit gleichsam inventarisiert worden seien. Im Grunde handelt es sich hier um die lamarckistische Sichtweise einer Vererbung erworbener Eigenschaftewn, die von modernen Evolutionstheoretikern schon seit geraumer Zeit verworfen wurde.

In den vierziger und Fünfziger Jahrten war die lamarckistische Theorie von der stalinistischen Biologie wieder aufgegriffen worden, heute finden sich gewisse Grundzüge bei Rupert Sheldrake.

Wenn aber nun Neumann sich diese "Vererbung erworbener Eigenschaften" zu eigen zu machen versucht, ergeben sich ernsthafte sachliche Probleme: Schließlich liegen die Entwicklungsschritte vom Matriarchat zum Patriarchat nicht länger zurück als 5000 - 6000 Jahre. Seit dieser Zeit haben sich die Menschen anthropologisch-biologisch nicht wesentlich verändert, wie archäologische Funde ziemlich eindeutig beweisen.

Wie hätten sich also die geschichtlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen in so relativ kurzer Zeit in instinktbezogene Abläufe evolutionsgeschichtlich verfestigen können ? Eben das aber behauptet Neumann ja beispielsweise in Bezug auf den Drachenkampf als Ablösungsmechanismus, den Helden- und Vaterarchetypus etc. !

Die Tatsache, daß die Psychoanalyse ähnliche Mystifikationen mit der psychischen Verinnerlichung des Ödipuskomplexes betrieb ("Urerinnerung an den erfolgreichen Vatermord") entschuldigt die Unsinnigkeit der jungianischen Theorie keineswegs; sie bestätigt vielmehr nur, daß es sich hier nicht um eine wissenschaftlich begründete Alternative zur Freudschen Theorie handelt.

Im zweiten Teil des Buches, die man als jungianische Entwicklungspsychologie des Individuums bezeichnen könnte, wird besonders deutlich, wie negativ Neumann das Unbewußte tatsächlich sieht und wie stark die Widersprüchlichkeit, ja Konkurrenz zwischen dem Unbewußten und dem Bewußtsein von den Jungianern betont wird. Wo Emotion und Ich, Körperlichkeit und Geist als einander widerstreitende Prinzipien gedeutet werden, verläßt Neumann den Boden einer wissenschaftlich begründeten empirischen Beschreibung der Psyche, verfällt vielmehr einer gnostisch-dualistischen Ideologisierung.

Und vor allem ist es höchst entlarvend, wie wenig sich diese Psychologie von der dualistischen Militanz Freuds entfernt hat, der das Unbewußte als einen höchst gefährlichen, brodelnden Hexenkessel chaotischer Trieberregungen betrachtete.Neumann scheint der Auffassung zu sein, daß das ICH als Zentrum der menschlichen Persönlichkeit in schroffer Abgrenzung von anderen Teilen der Psyche gedeihen müsse. Als solches führt es einen Abwehrkampf gegen aus der Tiefe aufsteigende Gefühle einerseits und die bedrohliche Umwelt andererseits. Es ist wirklich verblüffend, wie es Neumann versteht, eine durch die westliche Zivilisation christlich-jüdischer Prägung künstlich erzeugte Seelenverbiegung als organische Normalentwicklung der Seele darzustellen, die einfach einen notwendigen Schritt zur schließlichen Entfaltung des Selbst darstelle.

Allerdings ist seine Schilderung eine hervorragend zutreffende Diagnose des Zustandes, in dem wir uns befinden.

Doch das, was sich dahinter verbirgt, ist der Versuch, diesen Zustand als unausweichliche, zwangsläufige Entwicklung darzustellen. Aber gerade die Beispiele aus den Mythen sprechen dagegen. Es gibt überhaupt keine Beweise dafür, daß sich die Bilder der Ureltern, der Großen Mutter, des Helden, des Vaters, der jungfräulichen Göttin usw. in einer bestimmten historischen Reihenfolge entwickelt hätten. Es handelt sich hier um ein willkürliches Herumhantieren mit beliebig herausgebrochenen Mythenstücken, die man genauso gut auch anders anordnen könnte. Hier nehmen sich jungianische Mythograpen und feministische Deuterinnen gleichermaßen eine Freiheit, die ihnen natürlich zusteht - von der sie aber deutlich machen sollten, daß es ein Spiel mit historischen Fragnmenten ist und mehr nicht.

Nehmen wir beispielsweise die Identifizierung des Drachen mit der Großen Mutter. Es ist keineswegs gesichert, daß der Drache überhaupt stets eine weibliche Gestalt symbolisiert - im Gegenteil. Konkrete mythische Überlieferungen (s. J.C. Cooper:Lexikon der traditionellen Symbole, Leipzig 1986, Artikel "Drache" oder der entsprechende Artikel im "Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens" offenbaren so weitläufige Zusammenhänge, daß einem damit jede konkrete, punktuelle Deutung zwischen den Händen zerfließt) sprechen eine ganz andere Sprache. Aber das hindert Neumann nicht daran, den aus der gnostischen-Schlangen-Drachen-Symbolik übernommenen Begriff des "Ouroborischen" so zu verallgemeinern, daß er schließlich zu einer generellen Umschreibung alles Dumpfen, unbewußt-zeugenden, des Fressens und Gefressen werdens wird.

Die Mythen bieten jedoch auch menschengestaltige Bilder der Großen Muttergöttin, die von höchster seelischer Feinfühligkeit, Subtilität, intelektueller Klugheit und bewußter Vergegenwärtigung zeuge, in denen sich also keine Unbewußtheit im Gegensatz zu einer noch zu erlangenden Bewußtheit herauskristallisiert. Denken wir etwa an die Mythen von Demeter bei Homer oder den Frigga-Mythos bei Snorri Sturluson.

Wenn wir jene Schilderungen lesen, so scheint es uns, als wenn auch die sogenannten primitiven Menschen einer Epoche der Bejahung weiblicherer Werte bereits geistig differenziert genug waren, um die physische Realität von der Vorstellung zu unterscheiden, um das Wesen eines Individuums zu achten oder die Entwicklung menschlicher Selbständigkeit zu respektieren.

Aus all diesen Gründen möchte ich nur jeder Hexe und jedem Heiden und Magier raten: Augen auf, wenn Jungianer Mythen deuten bzw. verwerten. Denn oft wird ihre Umgangsweise dem Wesen des ursprünglichen Stoffs nicht gerecht.

Natürlich ist es grundsätzlich nicht falsch, den Mythos als Widerspiegelung seelischer Kräfte des Menschen und bestimmter Tendenzen der Menschheitsgeschichte zu sehen. In diesem Sinne sind Mythen Ausdruck der Wirklichkeit. Unserer inneren Wirklichkeit wie auch unserer geschichtlichen Realität. Die Anhänger Jungs aber scheinen mir jenen in die Hände zu arbeiten, die der neuen heidnischen Religiosität Mystifizierung statt Aufklärung, Verdunkelung statt Erhellung der menschlichen Verhältnisse vorwerfen.

Literatur: Erich Neumann, Ursprungsgeschichte des Bewußtseins, Fischer TB , Frankfurt a.M. 1992, ISBN 3-596-42042-3

 

3. C.G. Jung und der Nationalsozialismus - Eine Chronologie

1930

Jung wird Ehrenvorsitzender der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, bzw. quasi Vizepräsident.

1933

Februar - Jung hält Vorträge in Köln und Essen, in denen er das politische Geschehen in Deutschland indirekt kommentiert, indem er von einem kompensatorischen Rückschlag zum Kollektivmenschen spricht: "Masse als solche ist stets anonym und unverantwortlich. Sogenanne Führer sind unvermeidliche Symptome einer Massenbewegung. Die wahren Führer der Menschheit sind stets die, welche sich auf sich selbst besinnen und das Schwergewicht der Masse wenigstens um ihr eigenes Gewicht erleichtern, indem sie sich von der blinden Naturgesetzlichkeit der Masse bewußt ferngehalten haben." Der wahre Führer solle nicht nur "in der Welt des Äußeren, sondern auch in der des Inneren stehen".

April - Jung schreibt im "Geleitwort" zum 6. Band des "Zentralblatts": "Die tatsächlich bestehenden und einsichtigen Leuten schon längst bekannten Verschiedenheiten der germanischen und der jüdischen Psychologie sollen nicht mehr verwischt werden, was der Wissenschaft nur förderlich sein kann...Dabei soll, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, keine Minderbewertung der semitischen Psychologie gemeint sein, so wenig als es eine Minderbewertung des Chinesen bedeutet, wenn von der eigenartigen Psychologie des fernöstlichen Menschen die Rede ist."

6. 4. : Nach Rücktritt Kretschmers kommissarische Leitung der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie durch Jung.

Zu Kretschmers Rücktrittsgründen: "Kretschmer galt bereits bei Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft als politisch verdächtig. ( Lockot, S. 74). Zitat: "Es ist merkwürdig mit den Psychopathen. In normalen Zeiten geben wir Expertenurteile über sie ab; in Zeiten von politischer Unruhe beherrschen sie uns." "Der Grund (für den Rücktritt) war für mich ganz klar und einfach, da ich der Überzeugung war daß besonders eine so komplizierte Sache wie die psychotherapeutische Bewegung nur auf einer freien internationalen Basis außerhalb aller politischen Einflüsse geführt werden könnte."

10.4.: In Berlin finden Bücherverbrennungen statt, u.a. mit den Werken Freuds: "...gegen die seelenzerstörende Überschätzung des Sexuallebens und für den Adel der menschlichen Seele".

14. 5.: In der Berliner Börsenzeitung erscheint ein Aufsatz mit der Überschrift "Wider die Psychoanalyse". "Nach einer Polemik gegen Adler und Freud wurde Jung als der Reformer der Tiefenpsychologie gefeiert" (Lockot, S. 88).

21. 6.: Jung übernimmt das Amt des ersten Vorsitzenden der Allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie.

26. 6.: Jung gibt anläßlich eines Seminars in Berlin ein Rundfunkinterview, in dem der "zersetzenden Psychoanalyse" Jungs "aufbauende Seelenlehre" entgegengesetzt wird. Es ist die Rede von der Stunde des "Führers" und von "Zeiten des Führertums" und daß nur in Zeiten zielloser Ruhe...die ziellose Konversation parlamentarischer Beratung" gefragt sei. (Wehr, S.287) Zitat aus der Einleitung der Sendung: "In dem nun folgenden Zwiegespräch hören Sie Herrn Dr.C.G. Jung, den bekannten Züricher Psychologen, der der zersetzenden Psychoanalyse Sigmund Freuds seine aufbauende Seelenlehre entgegengestellt hat". Jung: "Zeiten der Massenbewegungen sind immer Zeiten des Führertums. Jede Bewegung gipfelt organisch im Führer, welcher durch sein ganzes Wesen Sinn und Ziel der Volksbewegung verkörpert. Er ist eine Inkarnation der Volksseele und ihr Sprachrohr. Er ist die Spitze der Phalanx des bewegten Volksganzen. Die Not des Ganzen ruft immer einen Führer auf, unbekümmert um die jeweilige Staatsform." (Lockot, S. 90 f.).

Juli - Sigmund Freud über den Nationalsozialismus: "Vielleicht kommt es nicht allzu schlimm". (Wehr, S. 273).

30. 7 .: Cimbal schreibt einen Brief an Göring, in dem er Informationen über Gespräche mit Jung weitergibt: "...Die Befreiung der Gesellschaft von den jüdischen Einflüssen sei gerade in der Psychotherapie von entscheidender Bedeutung und gleichzeitig von größter Schwierigkeit. Es erscheint als zweckmäßig, daß man das Beispiel der anderen deutschen Gesellschaften abwarte und die Wirkung beobachte, die sich bei deren Verhalten den jüdischen Mitgliedern und Vorstandsmitgliedern gegenüber ergeben würde." (Lockot, S. 92).

3.9.: Cimbal teilt Göring mit, daß Jung seine offizielle Einwilligung zur Übernahme des Vorsitzes (der "überstaatlichen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie") durch Göring gegeben habe. Im gleichen Brief schreibt Cimbal: "Herr Dr. Jung hat die Gedankengänge und wahrscheinlich auch die Literatur des Nationalsozialismus sehr genau durchgearbeitet und durchaus bejaht." (Lockot, S.92) In der Gründungserklärung der deutschen Gesellschaft vom 15. 9. 33 heißt es: "Diese Gesellschaft hat den Willen und die Aufgabe, unter bedingungsloser Treue zu dem Führer des deutschen Volkes, Adolf Hitler, diejenigen deutschen Ärzte zusammenzufassen, die willig sind, im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung eine seelenärztliche Heilkunst auszubilden und auszuüben oder dieser Heilkunst wohlwollend gegenüberzustehen"."...es ist aber zu erwägen, ob wir von den leitenden Stellen Juden ausschließen".

Im Zentralblatt 1933 heißt es: "Die beiden Gesellschaften sind voneinander völlig unabhängig, arbeiten aber freundschaftlich miteinander".

Für Februar 1934 wird im Zentralblatt die Herausgabe eines "deutschen Heftes" angekündigt, in der u.a. ein Aufsatz von Göring mit dem Thema "Die nationalsozialistische Idee in der Psychotherapie" erscheinen soll.

3. 10.: C.G. Jung in einem Brief an M.H. Göring: "Es wird mich sehr freuen, Sie bei dieser Gelegenheit (einer Vortragsveranstaltung in Duisburg) begrüßen zu können, da ich gerne mit ihnen über die gegenwärtige Lage der Gesellschaft für Psychotherapie sprechen möchte".

"Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung stand die Existenz der Allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie auf dem Spiel. Die nationalsozialistische Regierung hatte Rüdin dazu beauftragt, sie aufzulösen" (Lockot, S. 59).

In der internationalen Ausgabe des Zentralblattes (Dezember 1933) erscheint ein Artikel von Göring, der Versatzstücke der NS-Propaganda enthält :"Unterordnung der deutschen Psychotherapeuten unter die nationalsozialistischen Prinzipien"(Wehr, S. 281). In dem Artikel heißt es auch, daß die Mitglieder der Gesellschaft Hitlers "Mein Kampf" "mit allem wissenschaftlichen Ernst durchgearbeitet haben und als Grundlage anerkennen sollten. Der Artikel sollte urprünglich nur in einem Sonderheft der deutschen Landesgruppe erscheinen, wird nun aber auch den anderen Landesgruppen zugänglich.

1934

Im "Zentralblatt" Bd. 7 (1934) veröffentlicht Jung einen Aufsatz "Zur gegenwärtigen Lage der Psychotherapie", in dem er eine scharfe Polemik gegen Freud und die"entwertende, zerfasernde Unterminierungstechnik der Psychoanalyse" führt: "Der Jude als relativer Nomade hat nie und wird vorraussichtlich auch nie eine eigene Kulturform schaffen, da alle seine Instinkte und Begabungen ein mehr oder weniger zivilisiertes Wirtsvolk zu ihrer Entfaltung vorraussetzen. Die jüdische Rasse als Ganzes besitzt darum nach meiner Erfahrung ein Unbewußtes, das sich mit dem arischen nur bedingt vergleichen läßt....Das arische Unbewußte hat ein höheres Potential als das jüdische; das ist der Vorteil und der Nachteil einer dem Barbarischen noch nicht völlig entfremdeten Jugendlichkeit. Meines Erachtens ist es ein schwerer Fehler der bisherigen medizinischen Psychologie gewesen, daß sie jüdische Kategorien, die nicht einmal für alle Juden verbindlich sind, unbesehen auf den christlichen Germanen oder Slawen verwandte." Über Freud: "Er kannte die germanische Seele nicht, so wenig wie alle seine germanischen Nachbeter sie kannten. Hat sie die gewaltige Erscheinung des Nationalsozialismus, auf den eine ganze Welt mit erstaunten Augen blickt, eines Besseren belehrt?" (Zentralblatt, Bd. 7, S.9). In der selben Ausgabe des Zentralblatts wird in einer Buchbesprechung von H. Kogerer die Forderung nach "Asylierung und Sterilisierung" erblich Belasteter und "die Förderung der Fortpflanzungstätigkeit bei den züchterisch wertvollen Familien" erhoben. (S. 122).

Im Frühjahr bezeichnet Jung auf seinen Zarathustra-Seminaren im kleinen Kreis den Nationalsozialismus als "komplett pathologisch", "einen heiligen oder dämonischen Wahnsinn". (Wehr,S. 287)

Jung veröffentlicht einen 1932 geschriebenen Aufsatz, in dem er " die führende Persönlichkeit" in Kontrast stellt zur "allzeit sekundären trägen Masse, die auch zur mindesten Bewegung stets des Demagogen bedarf". Und in

einer Fußnote zur Erwähnung Mussolinis: "Seitdem dieser Satz geschrieben wurde, hat auch Deutschland seinen Führer gefunden". (zit. b. Paul Stern, S. 225)

Februar - Jung schreibt an Kranefeldt: "Gegen die Dummheit kann man bekanntlich nichts tun, aber in diesem Falle können die arischen Leute darauf hinweisen, daß mit Freud und Adler spezifisch jüdische Gesichtspunkte öffentlich gepredigt werden, und zwar, wie man ebenfalls nachweisen kann, Gesichtspunkte, welche einen wesentlich zersetzenden Charakter haben. Wenn die Verkündigung dieses jüdischen Evangeliums der Regierung angenehm ist, so ist es halt eben so. Anderenfalls ist ja auch die Möglichkeit vorhanden, daß dies der Regierung nicht angenehm wäre" (Lockot, S.99). Hans-Martin Lohmann sieht in diesem Statement Jungs den Versuch, ein Verbot der Psychoanalyse in Deutschland anzuregen (Lohmann, S. 57).

27.2: Der Schweizer Psychoanalytiker Gustav Bally greift Jung in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung an: "...Ein Schweizer ediert also das offizielle Organ einer Gesellschaft, die nach Aussage eines führenden Mitglieds, des Dr. M.H. Göring, "von allen ihren schriftstellerisch tätigen Mitgliedern vorraussetzt, daß sie Adolf Hitlers grundlegendes Buch Mein Kampf mit allem wissenschaftlichen Ernst durchgearbeitet haben und als Grundlage anerkennen.""

2. 3. : In einem Brief an Dr. Walter Cimbal in Hamburg, dem Redakteur des "Zentralblattes" beschwert sich Jung über das Erscheinen von Görings Artikel. Er spricht von "einem bedauerlichen taktischen Fehler" und erwähnt, daß es in Zürich schon zu Angriffen gegen ihn gekommen sei.

13.3.: In einem Artikel für die Neue Zürcher Zeitung verteidigt Jung gegen die Angriffe Ballys seine Vorgehensweise mit dem Argument , er habe den deutschen Psychotherapeuten und den Patienten in Deutschland helfen wollen. Er schreibt aber auch über die Rolle der Wissenschaftler: "Darum müssen sie lernen, sich anzupassen. Protestieren ist lächerlich - man protestiere gegen eine Lawine !" Daß er gerade 1934 einen Unterschied zwischen arischer und jüdischer Psychologie in der deutschen Öffentlichkeit vertrat, begründet er abgesehen vom Argument der Wahrheitsfindung in dieser Frage mit der Angabe, er habe auch schon 1918 und 1927 in ähnlicher Weise darüber gesprochen. (s. GW, Bd.X, "Zeitgemäßes")

10. - 13. 5.: Begründung der Internationalen Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie in Bad Nauheim anläßlich des VII. Kongresses für Psychotherapie; Jung als Präsident und Herausgeber des "Zentralblattes für Psychotherapie und ihre Grenzgebiete" (bis 1939). Leiter der deutschen Landesgruppe der Gesellschaft ist Prof. M.H. Göring, ein Verwandter Hermann Görings und überzeugter Nationalsozialist. In einem Kongreßvortrag spricht Göring von einer "Befruchtung der deutschen Psychotherapie durch die Ideen des Führers".

Ein Dr. Oluf Brüel aus Kopenhagen, Leiter der dänischen Landesgruppe mit 10 Mitgliedern, spricht über "Psychotherapie im Norden": "Nordische Rasse brauche besonders schonende Therapie. Ihr sei besondere Abneigung gegenüber allem Häßlichen und Unsauberen eigen."..."Das, was nach meiner Meinung den echten Germanen kennzeichnet, ist eine gewisse, stark idealistische und idealisierende Einstellung, ein "Zug in die Höhe", wenn man so will, der sich kaum entsprechend oder auf entsprechende Weise bei andern Rassen nachweisen läßt."

Bei den Kongreßveranstaltungen tritt der Psychotherapeut Gauger in SA-Uniform auf, er hält auch ein Referat über "Psychotherapie und politisches Weltbild": "...Der wissenschaftliche Materialismus der freudschen Psychoanalyse ist aufs engste verwandt mit dem ökonomischen Materialismus der Marxisten. Der nationalsozialistische spezifische Begriff der Gesinnung ist beiden gleicherweise fremd....Materialismus hängt wiederum mit Individualismus auf das engste zusammen....Wir wissen als Erbschaft der individualistischen Zeit schon sehr viel über die individuellen Bedingungen der seelischen Erkrankungen. Worüber wir aber vor Adolf Hitler noch nicht viel gehört haben, das sind die generellen Bedingungen der seelischen Gesundheit."

In seiner Schlußansprache weist Göring auf die Pflicht jedes Psychotherapeuten hin, "Mein Kampf" zu studieren.

Die Statuten der Internationalen Gesellschaft sehen vor, daß keine Landesgruppe mehr als 40 Prozent der anwesenden Stimmen vertreten darf, wodurch das Überwiegen des deutschen Einflusses verhindert werden sollte. Psychotherapeuten, die sich keiner Landesgruppe anschließen wollen, können dafür der Internationalen Gesellschaft beitreten, eine Regelung, die Jung mit Rücksicht auf seine jüdischen Kollegen traf. In einem solchen Fall (der Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Landesgruppe) bestände dann allerdings auch kein Stimmrecht ! (Lockot, 262f.).

Im gleichen Monat schreibt Jung einen Brief an den jüdischen Psychotherapeuten und Anhänger James Kirsch,

er habe in sein soeben veröffentlichtes Buch Wirklichkeit der Seele einen jüdischen Autor aufgenommen, um die Nazis zu ärgern und auch alle jene Juden, die ihn als Antisemiten verschrieen hatten (Stern, S. 230).

7. 6.: Jung äußert in einem Brief an Göring seine Besorgnis darüber, daß die Psychotherapie in Deutschland der Psychiatrie untergeordnet werden könne, was für ihn ein Grund wäre, sich zurückzuziehen. "Die Psychiater haben es sich nämlich von jeher angelegen sein lassen, die Psychotherapie in jeglicher Form zu unterdrücken". (Der Brief nimmt Bezug auf die Aktivitäten Kretschmers.

1935

Der achte Allgemeine Ärztliche Kongreß für Psychotherapie findet v. 27.-30. 3. in Bad Nauheim statt, Vorträge werden u.a. auch wieder von Göring, Gauger und Bjerre ("Volksschicksal und Einelschicksal als psychotherapeutischer Hintergrund") gehalten. In der gleichen Nummer 8 des Zentralblatts, in dem auch der Ablauf des 8. Kongresses enthalten ist, wird auch der 9. Kongreß für Psychotherapie von der "Deutschen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie" angekündigt, wonach u.a. ein Dr. Achelis aus Berlin zum Thema "Politische Schulung und die Frage der Gesinnungsschulung als rassenpsychologisches Problem" sprechen soll.

In der im Zentralblatt 1935 wiedergegebenen "Generaldiskussion" anläßlich des VIII. Kongresses werden verschiedene Redebeiträge zitiert:

Dr. Achelis: "Psychotherapie in Deutschland kann nur zur vollen Funktion kommen, wenn sie sich nicht autistisch um sich und ihre "Sexualprobleme" dreht, sondern das Instrument wird, das den in Deutschland durch die nationalsozialistische Revolution in Bewegung gekommenen Charakterbildungsprozeß unterbaut".

Schöner: "Eine aus dem deutschen Empfinden geborene, heute durch das nationalsozialistische Denken möglich gwordene seelische Arbeit des Arztes kann auf Disziplin, starke Bejahung der von Prof. Krisch besonders schön herausgearbeiteten Willensbildungsrichtungen und Heilmethoden nicht verzichten."

 

1936

28.3.: Das gesamte Eigentum des Internationalen psychoanalytischen Verlags in Leipzig und sämtliche Bücher und Zeitschriften, werden von der Gestapo beschlagnahmt.

Mai - Das "Deutsche Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie e.V." wird in Berlin gegründet. Es steht unter Görings Leitung und wird von der Deutschen Arbeitsfront finanziert (bis 1942, danach vom Reichsinnenministerium). Initiatoren der Institutsgründung sind u.a. die "Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft" und die "C.G.Jung-Gesellschaft".In dem Institut werden Vertreter verschiedener therapeutischer Richtungen, der Psychoanalyse, der Jungschen Analytischen Psychologie und der Adlerschen Individualpsychologie integriert.

Die einzelnen Richtungen wurden im Institut als Arbeitsgruppen repräsentiert, als Ersatz für eine eigenständige Existenz im Sinne des bürgerlichen Vereinsrechts. Freudianer sollen am Institut einen größeren Einfluß als Jungianer gehabt haben (Cocks, zit. b. Lohmann, S.90). Nach Kriegsbeginn verstärkte sich der administrative Einfluß der DAF. Die Psychoanalyse konnte unter der Bedingung am Institut weiter gelehrt werden, daß die Analytiker ihre Terminologie veränderten. Zu einem großen Teil bestand die Tätigkeit des Instituts u.a. auch darin, Hilfsdienste für die Wehrmacht zu leisten, etwa durch Behandlung von Kriegspsychosen und Ausbildung von Offizieren in Kurztherapie.

19.7.: In Basel findet eine psychotherapeutische Tagung statt, auf der Vertreter der Freudschen, der Adlerschen und der Jungschen Richtung in der Schweiz mit Jung und Göring zusammentreffen. Anwesend ist auch ein Dr. Bally aus Zürich. "Es war erfreulich zu hören, wie jeder Redner sich bemühte, das allen Richtungen gemeinsame zu betonen, und das scheinbar auseinanderstrebende unter dem Gesichtspunkt der Vielfältigkeit der Anschauungsformen und der geistigen Einstellung zu beleuchten." (Curtius in Bd. 9 des Zentralblatts, 1936).

In der "Neuen Schweizer Rundschau" erscheint aus Jungs Feder der Aufsatz "Wotan". Die Deutschen seien "ergriffen", sie seien in diesem Zusammenhang die Erleidenden. "Man kann daher von einem Archetypus Wotan sprechen, der als autonomer seelischer Faktor kollektive Wirkungen erzeugt." Wotan verkörpere die triebmäßig-emotionale wie auch die intuitiv-inspirierende Seite des Unbewußten. "Wir Außenstehende beurteilen den gegenwärtigen Deutschen viel zu sehr als verantwortlich zu machenden Handelnden; es wäre vielleicht richtiger, ihn zum mindesten auch als Erleidenden zu betrachten."

29. 9.: Jung schreibt an Roback: "Ich bin kein Nazi, im Grunde bin ich ganz unpolitisch. Deutsche Psychotherapeuten baten mich um Hilfe bei der Aufrechterhaltung ihrer Berufsorganisation, weil eine unmittelbare Gefahr bestand, daß die Psychotherapie in Deutschland von der Bildfläche verschwendet. Sie wurde als "jüdische Wissenschaft" betrachtet und war als solche höchst suspekt. Jene deutschen Ärzte waren meine Freunde und nur ein Feigling würde seine Freunde im Stich lassen, wenn sie dringend Hilfe brauchen. ... außerdem ermöglichte ich es den von allen Berufsorganisationen ausgeschlossenen jüdisch-deutschen Ärzten, wenigstens direkte Mitglieder der internationalen Gesellschaft zu werden. Aber niemand erwähnt diese Tatsache, wie auch niemand ein Wort darüber verliert, daß so viele gänzlich unschuldige Existenzen vollständig hätten zerschlagen werden können, wenn ich nicht eingeschritten wäre." (Lockot, S. 103).

1937

Januar - Göring teilt im 9. Bd. des "Zentralblatts" mit, daß die "Deutsche allgemeine ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie" aller Vorraussicht nach alsbald durch den Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes der "Deutschen Gesellschaft für innere Medizin" angeschlossen werde.

31. 5.: Curtius schreibt an Göring: "Es sieht so aus, als ob Jung das "Berliner Modell" der Verbindung der vier verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen (Freud, Adler, Jung und die phänomenologische Schule) gefallen würde." (Lockot, S. 104).

28. - 29. 9.: Jung kommt nach Berlin, um dort Vorträge über die Archetypen zu halten.

1938

26. 3.: Jung schreibt an Göring: "Nach meiner Auffassung ist die Rassenfrage eine innenpolitische Angelegenheit Deutschlands, welche nur innerhalb der deutschen Grenze respektiert werden muß." (Lockot, S.105).

Oktober - Der amerikanische Journalist Knickerbocker interviewt Jung für die Januar-Ausgabe des "Hearst`s International Cosmopolitan". Darin bewertet Jung Hitler als eine Art Medizinmann oder Schamanen, der gewissermaßen als Sprachrohr des vom Wotan-Archetypus ergriffenen kollektiven Unbewußten des deutschen Volkes fungiere. "Er kann nicht heiraten...Hitlers wirkliche (einzige) Leidenschaft ist Deutschland". Nur deshalb spreche Hitler so laut, weil er stets mit 78 Millionen Stimmen spreche. "Wenige Ausländer, aber offensichtlich jeder Deutsche spricht auf ihn an. Das ist so, weil sich in Hitler das Unbewußte jedes Deutschen spiegelt, aber natürlich spiegelt er für einen Nicht-Deutschen nichts zurück. Er ist der Lautsprecher, der das unhörbare Raunen der deutschen Seele verstärkt, bis es vom unbewußten Ohr der Deutschen gehört werden kann. Er ist der erste Mensch, der jedem Deutschen sagt, was er in seinem Unbewußten die ganze Zeit dachte und fühlte über das deutsche Schicksal...Hitlers Macht ist nicht politisch, sie ist magisch."

"Seine Eingebung ist nichts anderes als sein Unbewußtes, in das die Deutschen ihr eigenes Selbst hineinprojiziert haben; das heißt, das Unbewußte von 78 Millionen Deutschen. Das macht ihn mächtig....Beide, Hitler und Mussolini, bekamen ihre Macht vom Volk und ihre Macht kann ihnen nicht weggenommen werden. Es ist interessant, daß beide, Hitler wie Mussolini, ihre Macht vor allem auf die untere Mittelklasse abstützten, die Arbeiter und Bauern. Bei Hitler sind sie ängstlich. Sie wissen, daß sie es nie schaffen würden, mit diesem Mann zu sprechen - weil da kein Mensch ist. Er ist kein Mensch, sondern ein Kollektiv. Er ist kein Einzelmensch, sondern eine ganze Nation....Hitlers wahre Leidenschaft ist natürlich Deutschland. Man könnte sagen, er habe einen fürchterlichen Mutterkomplex, was heißt, daß er von einer Frau oder einer Idee beherrscht werden will...Ich sage, lassen sie ihn ostwärts ziehen....Lassen sie ihn nach Rußland gehen. Das ist die logische Kur für Hitler....Für Deutschland gibt es nur ein Operationsfeld: Rußland." "Und was geschieht mit Deutschland, wenn es sich mit Rußland einläßt?", fragte ich. (Knickerbocker)"Ah, das ist seine Angelegenheit. Unser Interesse daran ist lediglich, daß es den Westen retten wird." (Balmer. S. 134ff.).

1939

Juni - September: Es entspinnt sich eine Art Intrigenspiel zwischen Jung und der deutschen Landesgruppe der Allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, bei dem es um die Frage von Macht und Dominanz in der Internationalen Gesellschaft geht: Die deutsche Landesgruppe versucht die Führung zu ergreifen im Zusammenhang mit einer japanischen und italienischen Landesgruppe, wogegen Jung versucht, Schweizer und Briten "ins Feld zu führen".

Jung tritt vom Amt des Präsidenten der Internationalen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie zurück, endgültig allerdings erst im Sommer 1940.

 

1941

In dem Aufsatz "Die Psychotherapie in der Gegenwart" (Verschriftlichung eines Vortrages) äußert sich Jung über Autorität: "...sollen nicht die Grundlagen der europäischen Gesellschaftsordnung überhaupt ins Wanken kommen, so muß Autorität a tout prix und in erster Linie wieder hergestellt werden".

Juli - Jung hält auf der Schweizer Tagung der Psychotherapeuten in Zürich einen Vortrag, in dem er die Rolle der Psychotherapie in den totalitären Staaten begutachtet und dabei zu einem kritischen Urteil kommt. Seine Kritik bezieht sich darauf, daß die Therapie hier zu einem Werkzeug staatlichen Zweckdenkens werde und zur Entseelung des Menschen führe.

1945

Juni - Jung veröffentlicht einen Aufsatz mit dem Titel "Nach der Katastrophe", in dem er als einer der ersten nach dem zweiten Weltkrieg die These von der Kollektivschuld des Deutschen Volkes vertritt. Der in einer äußerst scharfen Sprache gehaltene Aufsatz fordert die Deutschen auf, sich ausnahmslos zu ihrer Schuld zu bekennen, wobei das Hauptargument darin besteht, mit dem Schuldbekenntnis ihre Akzeptanz in Europa und damit ihren "Ruf" wieder zu verbessern. Jung diagnostiziert bei den Deutschen eine hysterische Neurose, "Pseudologia Phantastica", die sich in Hitlers Charakter widerspiegele und spricht von "moralischer Minderwertigkeit": "Wenn ich von den Deutschen sage, sie seien psychisch krank, so bin ich doch wohlwollender, als wenn ich sage, sie seien Verbrecher...Eine Neurose...ist nichts Unehrenhaftes, sie ist ein Handicap". Die Kollektivschuld, einmal anerkannt, würde zur Einsicht und damit zur Heilung führen.

Über Hitler, Göbbels und Göring: "Jedes Stück dieser eindrucksvollen Triade für sich hätte genügt, um einen instinktbegabten und unverbogenen Menschen zu veranlassen, dreimal das Kreuz vor diesen Leuten zu schlagen....Mir scheint es ebenso innerhalb der Grenzen der Möglichkeit zu liegen, daß Hitler selber einmal eine gute Absicht hatte und erst im Laufe seiner Entwicklung dem Gebrauch der unrichtigen Mittel oder dem Mißbrauch seiner Mittel verfiel."

Der frühere Herausgeber des "Zentralblattes", der mittlerweile in die USA emigrierte W. Eliasberg wie auch Erich Kästner nehmen zu diesen Ausführungen Jungs kritisch Stellung, indem sie ihnen seine Äußerungen von 1934 gegenüberstellen.

Der Berliner Rabbiner Leo Baeck, Überlebender des KZ Theresienstadt, begegnet Jung in einem Hotel in Zürich, nahdem er eine Einladung nach Küsnacht abgelehnt hatte. Jung verteidigt sich, gesteht aber ein: "Jawohl, ich bin ausgerutscht". Er versöhnte sich wieder mit Baeck, den er schon in den Zwanziger Jahren in Deutschland kennengelernt hatte.

August - Jung gibt der Zeitung "Die Weltwoche" ein Interview, in dem er ua. Folgendes äußert: "...Deutschland ist daher von jeher das Land der psychischen Katastrophe gewesen: der Reformation, der Bauern und Religionskriege und des Nationalsozialismus, in dem der Druck der Dämonen so stark wurde, daß sie sich der Menschen bemächtigten und sie zu geisteskranken Übermenschen aufblähen...Alle nationalsozialistischen Führer waren Besessene...und es ist sicher kein Zufall, daß ihr propagandistischer Wortführer mit dem Mal des dämonisierten Menschen, dem Klumpfuß, gezeichnet war. Zehn Prozent der deutschen Menschen sind heute rettungslose Psychopathen....Denn die Dämonen stürzen sich vor allem auf die Masse. Im Kollektiven wird der Mensch entwurzelt und die Teufel können ihn packen."

Quellen (u.a.):

-Friedrich Doucet: Geschichte der Psychologie

-Gugenberger/Schweidlenka: Mutter Erde, Magie und Politik

-C.G. Jung: Aufsätze zur Zeitgeschichte

-C.G. Jung: Erinnerungen - Träume - Gedanken

-Regine Lockot: Erinnern und Durcharbeiten - Frankfurt a.M. 1985

-Hans Martin Lohmann: Psychoanalyse und Nationalsozialismus

-Zentralblatt für Psychotherapie (Jahrgänge 1933 - 1936); Darin diverse Aufsätze von C.G. Jung

 

 

4. 4 Thesen - C.G. Jung und der Nationalsozialismus

1. Jung hat den Nationalsozialismus aktiv unterstützt, Beihilfe bei Gleichschaltungsprozessen geleistet und durch öffentliche Stellungnahmen verharmlost.

2. Es gibt mindestens drei wesentliche Beweggründe, die man als ursächlich für sein Handeln bezeichnen kann: Der biographische Hintergrund (die Auseinandersetzung mirt Freud), das Konkurrenzdenken gegenüber der Psychoanalyse und die Sichtweise des Nationalsozialismus aus der Perspektive seines eigenen ideologischen Konzepts.

3. In seinen literarischen Arbeiten zu dem Thema (1936 u. 1945) verschleiert Jung zielsicher seine eigene Rolle.

  1. Die kollektive intellektuelle Atmossphäre Deutschlands und Europas mußte allerdings bestärkend auf ihn wirken.

 

Erstmalig veröffentlicht in der Heidenarbeit März 2002 (Die Heidenarbeit ist die Mitgliederzeitschrift des Rabenclan e.V.) - 21.12.2005