Organisierte Heiden - was sie verbindet - was sie trennt

Es gibt heute fast unzählbar viele Menschen in Deutschland, die sich für Naturreligion, Göttinkult oder Schamanismus interessieren. Die wenigsten von ihnen sind aber Mitglied in irgend einer Gruppe, die in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt.
Manche haben schon darüber gewitzelt, daß das kaum Zufall sein dürfte: Sind doch viele sogenannte Heiden narzißtisch isolierte Sonderlinge, deren Spiritualität Ausdruck individueller Eigenbrötelei zu sein scheint.
Liebevoll ausgedrückt: Ihre Distanz gegenüber „normalen" Menschen bringt die berechtigte Skepsis gegenüber einer Gesellschaft zum Ausdruck, die den Rest ihres Verstandes in Konsum- und Karriereterror ertränkt hat.
Was aber hilft alle Opposition und die Sehnsucht nach einer anderen Welt, wenn sich dieser Widerstand nirgendwo manifestiert, als in der eigenen Regression.
Deshalb fordere ich die Heiden und Hexen zur Entwicklung einer positiven Utopie auf.
Laßt uns eine Vorstellung vom menschlichen Leben entwerfen, in welchem wir der Natur näher kommen, statt uns von ihr zu entfremden.
Allerdings müßten sich die Hexen und Heiden dann auch bewußt von rechtsextremen und fundamentalistischen Phantasien trennen. Jene Visionen, die im Armanenorden oder der Artgemeinschaft gepflegt werden, sind nicht gerade Ausdruck eines humanistischen Impulses. Aber auch die vergangenheitsbezogenen  Ideen der Heidnischen Gemeinschaft oder der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft artikulieren kein zukunftsorientiertes Denken.
Mit diesen Leuten gibt es keine Chance, das Heidentum auf ernstzunehmende Weise in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Genau das aber ist ein Punkt, an den man irgend wann einmal kommen müßte, allein schon, um gleiche Rechte gegenüber den etablierten Kirchen einzufordern. Der Etappensieg der Zeugen Jehovas als einer religiösen Randgruppe vor dem Bundesverfassungsgericht schafft dafür günstigere Vorraussetzungen als je zuvor. Aber auch deshalb, um durch eine Auseinandersetzung mit der „Außenwelt" die Bewußheit für die eigenen Ziele zu schärfen, ist es wichtig, den Blick nach außen zu wenden.
Doch seit einigen Jahren haben sich Gruppen gebildet, die neue Ansätze versprechen. Da ist einmal der Steinkreis-pagan network e.V.
Seit ca. einem Jahrzehnt verbinden sich hier die unterschiedlichsten Leute aus dem Hexenkult, der rituellen Magie, dem Schamanismus und der feministischen Spiritualität.
Über das ganze Bundesgebiet verstreut, treffen sich viele von ihnen einmal im Jahr zu einem Sommercamp. Regionale Arbeit und ein spannendes Mitglieder-Magazin ergänzen die Möglichkeit, durch eine Mitgliedschaft direkt andere Heiden kennenzulernen.
Eine besondere Rolle spielt hierbei das pluralistische Prinzip der weltanschaulichen Vielfalt, die ein institutionelles Dogma ausschließt. Darüber hinaus ist eine strikt formulierte Kontraposition zu rechtsextremen Ideen obligatorisch, was den Steinkreis von gewissen traditionellen Gruppen unterscheidet.
Auch beim Rabenclan e.V. ist letzteres von existenzieller Bedeutung. Seit seiner Gründung im Jahre 1995 waren maßgebliche Gruppen im Rahmen des Ariosophieprojekts dabei, germanische Religiosität vom Makel des Rechtsextremen zu befreien.
Ein sicher ehrenwertes Anliegen insbesondere der Asatru innerhalb des Rabenclan, auch wenn damit manchmal übers Ziel hinaus geschossen wurde.  Leider haben Konflikte zwischen Wicca-Anhängern und Asatruar dazu geführt, daß viele Hexen peu a peu in den letzten 5 Jahren den Verein verlassen haben.
Trotzdem besteht immer noch eine Pluralität und zugleich eine organisatorische Kontinuität, die hoffen läßt. Jedes Jahr drei bis vier zentral organisierte Jahresfeste - das ist wirklich keine schlechte Bilanz. Allerdings wäre es nicht schlecht, wenn der Rabenclan seine Fixierung auf das Territorium Sauerland ein bißchen zugunsten zentraler bundesdeutscher Veranstaltungen verändern würde.
Steinkreis und Rabenclan sind sich in Bezug auf ihre organisatorische Stärke (jeweils ca. 100 Leute), ihre weltanschauliche Vielfalt und ihre politische Position ziemlich ähnlich.
Das macht einen Annäherungsprozeß plausibel, bei dem man Kräfte bündelt und damit Energien spart.
Gespannt dürfte man auf die deutschsprachige Repräsentanz der Pagan Federation sein, die es hier seit einiger Zeit gibt. Die PF, die in England einige tausend Mitglieder zählt, repräsentiert sich dort in einem Ausmaß in der Öffentlichkeitsarbeit, im sozialen Leben und in regionalen Aktivitäten, die deutsche Heiden vor Neid erblassen lassen könnten.
Um so gespannter dürfen wir darauf sein, was die deutschen PF-Mitglieder in den nächsten Jahren auf die Beine stellen werden.
Was die kleinbürgerlichen Vereinsstrukturen betrifft, die von  genannten Gruppen praktiziert werden, so kann man das natürlich mit gemischten Gefühlen sehen.
Andererseits, wie sieht die Alternative aus ? Wir leben weder in einem Zeitalter der Sakralkönige noch der Stammesführer, denn wir haben keine Stammeskulturen mehr.
Auch die Option einer Oberpriesterin oder eines  Hohenpriesters, welche uns die Verantwortung abnehmen, wird uns schlecht schmecken, wenn wir spüren, wie unsere menschliche Autonomie in diesen Modellen zugrundegeht.
Wir sind nun einmal versprengte Individuen in einer bürgerlichen Ära - Also führt die denkbare Konstitution einer neuen Art von Gemeinschaft über die Anerkennung bürgerlicher Regeln und die Respektierung ihrer Rechtsnormen.
Alles andere sind Phantasien von wahlweise, regressiver Unterwerfung oder apokalyptischem Größenwahn.

Matthias Wenger