Matthias Wenger



Die Kreise Paderborn und Höxter als Anlaufstelle für national-völkisch gesinnte Esoteriker?


Im Jahr 2012 ist ein Buch von Petra Baumgart erschienen, das diesen Schluss nahelegt.

Tanfana – Göttin der Marser“ ist nicht nur ein Historienroman.

Diese Erzählung will in die reale Welt hineinwirken. So erhält der Leser die Chance, im September 2014 an einem Festakt teilzunehmen, der sich auf die Ich-Erzählerin bezieht: Eine Tanfana-Gedenkfeier. Eine Sektengründung?


Wer fühlt sich nach der Lektüre des Buches eingeladen, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen?

Aus dem Inhalt des Romans ergeben sich zwei mögliche Zielgruppen:


Das Buch stellt eine völkisch – rassistische Grundlegung feministischer Spiritualität dar.

Es kann bisher unpolitische neuheidnische Kreise politisieren. Damit trägt es zur Stärkung von Strömungen bei, die im Widerspruch zur demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik stehen. Dies ist die gefährliche Seite des ansonsten eher langweiligen, kitschigen Historienbüchleins.


Das sind starke Vorwürfe, die natürlich begründet werden müssen. Dazu ist eine gründliche Analyse des Buches von P. Baumgart notwendig. Diese wird hier versucht.


Das Verhältnis von Quellenrezeption und Phantasterei


Das Material des vorliegenden Buches in Augenschein zu nehmen, wird zeigen, ob sich all diese Behauptungen bewahrheiten lassen.

Die erste Fragestellung bei einem historischen Roman wird natürlich sein, ob das Geschehen eine authentische Widerspiegelung historisch bekannter Fakten der Epoche darstellt. Dazu ist wenig zu sagen, weil die Vorbereitung der Niederlage des Varus auf „germanischer“ Seite sich einerseits im antik-historiographischen (taciteischen) mainstream hält, anderereits in den Details als phantasievolle Ausmalung bestehen kann, da sie aber auch mangels historiographischem Material nicht diskutabel ist.

Die Selbstauskunft der Autorin ist bescheidener, inszeniert sie sich doch lediglich als „Geschichtenerzählerin“, die die Gedanken- und Gefühlswelt der Marser vor 2000 Jahren nachzuempfinden versucht (S. 9).

Die Intention der Autorin scheint aber darüber hinaus in einer sozial-kulturellen und religionsgeschichtlichen Deutung der fraglichen Epoche zu liegen. Das heißt, sie versucht einerseits ein germanisches Matriarchat zu beschreiben und andererseits eine feministische Mythologie und einen feministischen Ritualismus, die einer völlig neuen interpretation der Religion der germanischen Stämme gleichkommt.

Im Mittelpunkt dieser Neuinterpretation steht eine einzige Stelle in den Annalen des Tacitus, bei der unklar ist, ob es hier nur um einen sakralen Ort oder um eine Gottheit geht: Tanfana. Leider gibt die Autorin noch nicht einmal den Namen richtig wieder, da der Urtext eindeutig auf tamfana verweist.1

Das Raffinement der Autorin kommt schon darin zum Ausdruck, einer Gestalt die vollen Ausmaße historischer und personaler Wirklichkeit zu verleihen, über die wir fast nichts wissen. Ein solches Ausmaß an Realisierung kann man bestenfalls als Intuition deklarieren, wenn man sie nicht boshafterweise lediglich als Phantasterei benennt. Aber seis drum – Imagination ist das Privileg eines jeden Schriftstellers.

In der Gesamtdarstellung des religiösen Charakters der germanischen Kultur werden aber hier außergewöhnliche Akzente gesetzt, bei denen die Frage erlaubt ist: Werden sie ausreichend durch Quellen erläutert und abgesichert ?

Gleich vorweg muß ich die Frage verneinen, obwohl im Anhang eine Reihe älterer historischer Quellen und Texte ausgiebig zitiert werden, wo es um „Tanfana“ direkt geht.


Christentum als Denkvorlage für „feministisch-germanische Religion“


Was erfahren wir denn nun unter anderem zur Charakterisierung der germanischen Mythologie und Religiosität ?

Da heißt es z.B. über die „Allmutter“ und die „Erdenmutter“, zwei verschiedene mythische Gestalten, sie „erschufen“ das „Alleine“ bzw. den „Himmelskörper Erde“. Hier wird christlich-theologischer Sprachgebrauch schlichtweg auf germanische Mythen übertragen (S. 8).

Die Rede ist auch von der „A l l w i s s e n h e i t des Hohen“ (S. 11). Eine glatte Projektion christlicher Gläubigkeit. Anläßlich der Beschreibung eines mythischen Berges, in der die Körperlichkeit der Göttin dargestellt wird, heißt es: „Er soll das Nährende, Fruchtbarkeit und Empfänglichkeit von Mutter Erde versinnbildlichen“ (S. 32). Eine derartige Formulierung der Ich-Erzählerin weckt gleichfalls starke Zweifel an der Erlebnis-Authentizität des Beschriebenen. Wenn etwa „versinnbildlicht … werden s o l l “, deutet das eher auf Spuren akuten monotheistischen Glaubenszwanges hin.

Als im Gespräch mit einem mit römischer Kultur vertrauten Germanen das Opfer zur Sprache kommt, werden wir allen Ernstes mit einer Art germanischem Vegetarismus konfrontiert: „Wir können es nicht fassen, dass die Römer ständig beseelte Tiere essen ... Mutter Erde schenkt uns alles, ohne dass anderes zerstört, vernichtet oder gar getötet werden müßte“ (S. 23f.). Eine solche moderne Projektion auf germanische Sichtweisen aus einer quasi esoterischen Weltsicht heraus steht in krassem Gegensatz zur Ursprünglichkeit und Bodenständigkeit des Germanischen, so wie es historisch real nachvollziehbar ist.

Ganz zu schweigen von der philosophischen Sinnhaftigkeit eines derartigen Gedankenganges.

Selbst in den Details zeigt sich, daß die Autorin germanische Religiosität nur aufgrund oberflächlicher Fehldeutungen erfaßt, deutlich wird das am Beispiel der Runen. Die Namen, die sie den Runen gibt, entstammen ganz offensichtlich dem Inventar ariosophischer Runendeutung, wie sie z.B. im Armanenorden üblich sind und nicht dem überlieferten Wissen2: „MAN“ (S. 14), „BAR“ (S.13 u. S. 79), „FA“ (S. 15), „HAGAL“ (S. 84 u. S. 86).

Grenzwertig ist die Göttin-Interpretation bzw. der Gottes/Göttin-Begriff von Petra Baumgart. Ob die naturmythologische Deutung der germanischen Gottheiten die Sache am besten trifft, ist in der Tat umstritten. Hier aber wird einer konsequent anthropozentrischen Deutung das Wort geredet, die dem römisch-katholischen Papsttum sowie der mediterranen Apotheose mächtiger Persönlichkeiten erstaunlich nahekommt (Wir denken an die römischen Kaiser und Byzanz). So artikuliert sich die Ich-Erzählerin als „Tanfana … seiend in mir und vertreten durch mich...“(S. 34) oder „Wir: Die Mittlerinnen zwischen Himmel und Erde! Verkünderinnen des Urwissens! Irdische Lenkerinnen der Lichträder in unseren Seelen!“(S. 67). Die Marser sind es gewohnt, dem Rat der Seherinnen zu folgen, „die mit der Göttlichkeit eins sind“ (S. 58).

Diese anthropozentrische Personalisierung wird durch den Hinweis auf die Spitze getrieben, die jeweilige amtierende Seherin der Marser hätte auch den Namen der Göttin Tanfana getragen (S. 13). Genüßlich wird eingangs aus dem Grimmschen Wörterbuch zitiert, wo es denn heißt: „(Göttin)... in vergleichender Beziehung oder unmittelbarer Übertragung auf irdische Frauen... verbindliche vorstellungen sind die schönheit, aber auch die der übermenschlichen vollkommenheit, verehrungs- und anbetungswürdigkeit.“(S. 8).

Eine derartige Beziehung spirituellen Empfindens auf eine menschliche Person erzeugt vor allem Bindungen und verknüpft das Religiöse mit persönlicher Macht.

Sicher hat auch dieses Buch ein persönliches Anliegen der Autorin, das ihm letztlich zugrunde liegt. Ist es die Submissivität ihrer Verehrer, wie es der Diskurs um den Fußkuss des Sigbert gegenüber Tanfana nahelegt ? (S. 88f.) Die Adalbert zugeschriebenen Worte bringen es auf den Punkt: „Danke Tanfana für die Worte der Weisheit, Deine Besonnenheit und Lenkung! Nach einem halben Leben unter der Herrschaft von Fremden sollten wir uns wiederum ERDA zuwenden.“ (S. 80).

Zur geistigen Freiheit, die die Autorin immer wieder als echt germanisch beschwört, trägt es gerade nicht bei. Will Petra Baumgart am Ende wirklich selbst die Göttin Tanfana verkörpern ?


Welche mythologischen Aussagen über germanische Religion lassen sich denn noch ausmachen ? Ganz konkret bemerkt Sigrun zu ihrem Sohn Sigfrid-Herman: „Unsere Stämme brauchen keine Götter, wir opfern nichts!“(S. 24).Gleich im Anschluß und schon zu Beginn des Textes (S.8) werden aber eine Reihe mythischer Wesenheiten erwähnt, die ausnahmslos als weibliche Wesen kenntlich gemacht werden: Allmutter, Mane, Sunna, Tanfana, Ostara, Erdenmutter, Gers und Erda bilden einen Reigen apokrypher mythischer Gestalten, die partielle namentliche Anklänge an mythologische Daten andeuten, aber in dieser Form unbekannt sind. Besonders kurios die „Allmutter“, wieder als an den Monotheismus sich anlehnende Gottheitsgestalt schon in der Namengebung erkennbar. Dann Grimms sprachgeschichtliche Konstruktion „Ostara“, schließlich sogar der als männliche Gottheit überlieferte Mondgott Mani in verweiblichter Form „Mane“.

Petra Baumgart scheint sich der These Heide Göttner-Abendroths anzuschließen, daß es eben im Matriarchat nur Göttinnen gab, und daß ein männliches Wesen im matriarchalischen Kontext bestenfalls als „Heros“ in Erscheinung treten kann, nicht aber als G o t t . Für eine derartige Deutung des mythologischen Materials muß Petra Baumgart genauso die Beweise schuldig bleiben wie Göttner-Abendroth. In meiner persönlichen Sicht ist diese Mythographie genauso eine sexistische Konstruktion wie die mittelalterliche Theologie monotheistischer Patriarchen.

Und das Ende vom Lied ? Tanfana wird von den Römern gekreuzigt – ein Akt barbarischer Besatzungspolitik, aber: Wie im Falle Jesu Christi umgebogen und heilsgeschichtlich verwertet für eine letztlich segenstiftende, sakrale Funktion. Heißt es doch zuguterletzt: „Ich weiß, dass sich eines Tages aus meinen blutenden Wunden die Knospe des Urwissens der Menschheit zu wahrhaftiger Blüte entfalten wird!“(S. 115)3

Nachdem wir nun geklärt haben, daß sich die Autorin völlig außerhalb des wissenschaftlichen Diskussionsrahmens zur Erforschung der Religion der germanischen Stämme bewegt, hatten wir ansatzweise schon festgestellt, daß ihr zugrundeliegendes Referenzsystem christlich-monotheistische Spuren aufweist. Gibt es weitere Hinweise darauf, aus welchen Quellen die Autorin schöpft ?




Moderne Esoterik als Denkvorlage für „feministisch-germanische Religion“


Allerdings gibt es eine Fülle von Hinweisen auf Anleihen bei der modernen Esoterik, deren Basis im Wesentlichen neugnostisches Gedankengut darstellt. Gnostizismus heißt also, daß Kerngedanken unserer Matriarchin einem Zerfallsprodukt spätantiker Popularphilosophie entstammen – welche Ironie für eine geschworene Feindin der römischen Kultur.

Derartige Gedankengänge, die als Weisheit Tanfanas referiert werden, sind überall mit Händen zu greifen: So wird z.B. die „irdische Seelenliebe“ zwischenmenschlicher Prägung „lediglich ein Abglanz des Allmächtigen“ (S. 11). In einem Ritual überträgt die Seherin „die himmlischen Kräfte auf diesen kleinen Erdenkörper“ eines Kindes (S. 12). Die Seelen steigen über sieben Stufen aus dem Sternenhimmel herab und über die sieben Stufen der Himmelsleiter wieder empor (S. 13). Ähnliche Weisheiten offenbaren derartige Aussprüche wie „Das Einzige, was wir Menschen wahrlich besitzen, ist unsere Seele“ (S. 19). Die Rede ist auch von einem „Ur-Selbst“ (S. 26) und davon, daß ein Mensch „Ersatz in irdischer Liebe“ suche, je weiter er sich von seiner Seele entferne (S. 39). Eine „hochschwingende, reine Seele“ wird uns vorgestellt (S. 56). Verdammt wird, „wen seine Selbstheit“ blendet (S. 59). „Frieden, Glück und Kraft entstehen nicht aus Kämpfen, sondern aus einer reinen Seele“ (S. 68 / S. 77). „Der Tanz der Seelen mit der Unendlichkeit ist lichtdurchflutet!“ (S. 77). Dieser pseudoesoterische Kitsch ist bestenfalls ein Abraumprodukt vulgärer zeitgenössischer Psychologie – germanisch ist es in keinem Fall. Wer beispielsweise den realistischen und naturalistischen Geist der isländischen Sagas oder die Lieder der Edda erinnert, wird verstehen, was ich meine.

Besonders kurios ist aber der innere Widerspruch, der im Verhältnis zu Petra Baumgarts Anspruch aufscheint, ein naturnahes ganzheitliches Weltbild zu präsentieren. Denn der auch hier auftretende Grundzug des neugnostischen Denkens bevorteilt ja gerade einen überirdischen, übersinnlichen Geist, der sich in unüberbrückbarem Gegensatz zum „niedrigen“ Körper und seinen Regungen bewegt.

Ein Beispiel, das diese strikt dualistische Dimension der Baumgartschen Anthropologie treffend illustriert, ist der Komplex der „bedingungslosen Liebe“. Dieses besondere Attribut Tanfanas (S. 14), der „Allmutter“ (S. 75) sowie der Erdenmutter (S. 29), welches diesen ebenso von den „Germanen“ zurückerstattet wird (S. 19 o. S. 25) sollte man begrifflich auf der Zunge zergehen lassen: In der sozialen Realität beruht Zuneigung natürlich in der Regel auf einem Austausch von Zuwendung, bzw. deren gegenseitiger Widerspiegelung. Wenn ich jemandem eine Zuneigung entgegenbringe, für die ich keine adäquate Gegenleistung erwarte, bewege ich mich auf dem Terrain der Verleugnung meines eigenen Bedürfnisses, geliebt zu werden. Der Begriff einer Liebe ohne Bedingungen führt also direkt in jene masochistische Gefühlswelt christlicher Heiligenviten, in denen Demut und Selbstlosigkeit propagiert werden. Ihre Funktion im Rahmen der kirchlichen Sozialstruktur ist die optimale Ausnutzung von Menschen, die zugunsten anderer darauf verzichten, ihr eigenes Leben zu leben. Wie diese ausbeutende Rolle der „bedingungslosen Liebe“ in Sekten praktiziert wird, beschreiben die „Guru Papers“ noch einmal in eindringlicher Weise.4


Rassismus und Biologismus, Blut- und Boden-Ideologie


Hat Frau Baumgarts Buch schließlich eine politische Dimension ?

Die detaillierte Analyse fördert auch hier Erstaunliches zutage:

So treten die handelnden „Germanen“ in einer erscheinungsbildlichen Ästhetik auf, die über einen ausgesprochen rassistischen Touch verfügt:

So dominieren die graublauen Augen (S. 12 u. 21), die „Außergewöhnliches“ verraten, z.B. eine „hochschwingende Seele“ (S. 23). Da muß natürlich sogar ihr Pferd blaue Augen haben (S. 111). Der junge „aufgeweckte Blondschopf“ (S. 15) stimmt seine Eltern hoffnungsfroh und auch Tanfana selbst hat lange blonde Haare (S. 86). Der römische Soldat hat braune Augen und ist kleinwüchsig (S. 64).


Dem völkischen Kollektiv wird eine biologische Unveränderlichkeit zugesprochen, die die Autorin geschickterweise als kulturelle Kontinuität verpackt:

Wertvolles Wissen unserer Vorfahren ist … in Vergessenheit geraten“(S. 9). Die Erde ist die „Heimstatt der Stämme der Germanen seit Urzeiten“(S. 10). Der kleine Sigfrid-Herman wird sich mithilfe der FA-Rune „wie alle Kinder unserer Stämme … an seine wahrliche Herkunft erinnern. Nur das Erinnern lockt eine jede Seele, mit dem Lichte zu tanzen“ (S. 13, s. auch S. 19). Noch geschickter kann man den nazistisch-völkischen Begriff der „Erberinnerung“ esoterisch nicht verpacken.

Kontinuität des völkischen Kollektivs ist aber auch untrennbar verbunden mit der Kontinuität des Territoriums: „Wir Germanen … in unserem Allheime … Nur durch Jahrtausende wähendes Geben und Nehmen ist der Boden unserer Vorfahren so fruchtbar … Nur hier in unserem angestammten Mutterland...“ (S. 19). „Unsere Heimstatt der Ahnen“(S. 22) oder „unsere Heimstatt, die seit uralten Zeiten von unseren germanischen Stämmen besiedelt wird“ (S. 47) kennzeichnet einen vorgeschichtlich begründeten Besitzanspruch samt ethnischer Kontinuität. Diese Form von Bindung und Unabänderlichkeit des Biologischen wird konsequent ins Spirituelle überzeichnet, wenn Tanfana betet: „Warum nur, geliebte ALLMUTTER, kann nicht jeder Erdenmensch dort friedlich leben, wo er vor Zeiten geboren wurde? Ein jeder gehört zu der Erde, dem Stamm und seinen Bräuchen, dessen Seele er in sich trägt und aus der seine Sprache erwächst!“(S. 68). „Wir kennen unsere Aufgabe, ausschließlich der angestammten Heimstatt zu dienen. Jeder Germane erinnert sich dessen durch unsere Bräuche und Sitten, die beständige Ordnung verleihen...Wer keine Wurzeln hat, verliert den Halt! Eine kräftige Eiche verdorrt schnell zu einem morschen, absterbenden Baum! Wer nur sich selbst sieht, verliert die Kraft der Gemeinschaft“ (S. 97). So illustriert man soziale Strukturen mit biologischen Metaphern in gewohntem völkischem Sprachduktus ! Aber auch viel naiver kann man das ausdrücken: „Aus einem Germanen kann schwerlich ein Römer werden“ (S. 95). Das Beharren auf dem Unveränderlichen, ob man es biologisch oder herkömmlich konservativ versteht, wird auch durch die folgende Wortwahl recht gut illustriert: „Es gibt für uns kein größeres Unglück, als das der Sippenzaun undicht wird. Dadurch kann Schädliches leichter in die Heimstatt dringen! … Gerade deshalb müssen wir alle enger zusammenstehen, damit nichts Böses und Unheilvolles Einlass findet!“(S. 94).

Wenn Völkisch-Konservative etwas realhistorisch weder beschreiben können, noch beschreiben wollen, ist die Rede von „Heimstätten der germanischen Völker seit unvordenklichen Zeiten“ (S. 60).


Ehre und Treue als „germanische Werte“


Es tauchen ethische Begrifflichkeiten auf, die ein individuelles Bewußtsein für kollektive Identität vorspiegeln: Sie knüpfen offenbar an patriotische Tugenden deutsch-nationaler Prägung an:

Von herausragender Bedeutung in diesem Zusammenhang ist der Begriff der Ehre bzw. das Adjektiv ehrenhaft oder ehrenvoll, den die Autorin mindestens vierzehnmal erwähnt, wenn es um die Vorbildlichkeit von Verhalten innerhalb des Stammes geht.

Einige Beispiele: Junge Männer und Frauen, die fest in den Ritualismus der Stammesbräuche integriert sind, gelten als „ehrenvoll“ (S. 11). Die Tatsache, daß die Seherin den traditionellen Kultnamen der Göttin trägt, hat eine „Verpflichtung“ zur Folge (S. 13). Natürlich tritt der Ehrbegriff unvermeidlicherweise auch im soldatischen Zusammenhang auf, wenn es über die Germanen in römischem Sold heißt, „dass sie nichts höher ansahen als ihre Ehre, mit der sie den Dienst verrichteten. Ihr Leben hätten sie für das Wohl des ihnen anvertrauten Kaisers geopfert“ (S. 18). „Ehre“ wird mit Kampf und Mut verbunden (S. 35, S. 50, S. 51, S. 55). Im Kampf erweist man auch seine „Treue“ (S. 52). Germanische Söldner glänzen durch „Ehre“ und „Treue“(S. 64, S. 76, S. 83). Man fühlt sich unwillkürlich an das Motto einer Elitetruppe der jüngsten deutschen Geschichte erinnert. Wenn es schließlich „der germanischen Ehre widerspricht, Frauen und Kinder zu schlagen“ (S. 90), kann man sich endgültig fragen, auf wie primitive Weise die Autorin vorspiegelt, den germanischen Wertekanon zu erforschen. Jedenfalls haben die Römer keine Ehre, solange sie kein angemessenes Totengedenken praktizieren (S. 111). „Treu und mit reiner Seele der Gemeinschaft dienen“ tönt eine Ethik, die geradezu christlich-mittelalterliche oder feudalaristokratische Züge hat (S. 60).

Da stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle jener Begriff in der Ethik der germanischen Stämme überhaupt gespielt haben kann. De Vries hat in seinem Werk über „Die Geistige Welt der Germanen“ den germanischen Ehrbegriff ausführlich erörtert5. Alle Beispiele, die er bringt, zeigen die tiefe Verwurzelung des Begriffs in der Ausnahmesituation der Völkerwanderungszeit, ihren ökonomischen und sozialen Verwerfungen. Es wird deutlich, daß es hier um eine Verfallszeit mit einer Dominanz eines männlich-kriegerischen Heroismus geht. Gerade deshalb macht sich die Autorin um so lächerlicher – versucht sie doch gerade darzutun, daß die handelnden Personen einer ursprünglichen, kulturell noch unbeeinflußten matriarchalen Situation entstammen, die einer ganz anderen Werteordnung verpflichtet ist. Selbst unter der Vorraussetzung, daß sie die Absicht gehabt hätte, diese Ordnung zu beschreiben, gelingt es ihr nicht, über die herkömmlichen Stereotypien in der Beschreibung des Germanischen hinauszukommen.


Fremdenfeindlichkeit als „germanischer Wert“

Vergegenwärtigt man sich den auf S. 59 wiedergegebenen „tausendfachen Schwur“, so vermutet man, ob nicht die Quintessenz der germanischen Ethik nach Petra Baumgart in einer zwanghaften völkischen Gemeinschaftsidee besteht. Denn hier heißt es gleich zweimal bekräftigend: „Wen seine Selbstheit blendet, ist blind für das Wohl der Gemeinschaft und sich selbst!“

Es wird eine Dissonanz zwischen dem Eigenen und dem Fremden beschworen. Dabei werden in sehr emotionaler Weise dem Eigenen nur gute Eigenschaften unterstellt und dem Fremden ausschließlich schlechte.

Zum einen ist es, sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch ziehend die totale Dämonisierung der Römer und der absolute spirituelle Lobpreis der Germanen. Anhand einer scheinbar erinnerten historischen Situation ergibt sich leicht die Möglichkeit, fremdenfeindliche Ideen zu legitimieren:

Argwöhnisch“ werden die „ungewohnten Sitten“ der Römer betrachtet (S. 19). „Seit vielen Sommern versuchen die Fremden, uns ihre herzlosen Sitten aufzuzwingen“ (S. 20). Römer sind luxussüchtige Frauenfeinde und Sklavenhalter (S. 39). Germanen dienen ausschließlich dem Leben, während Römer durch Abschlachten von Menschen Unruhe über die Mutter Erde bringen (S. 47). Sie haben keine Bindungen mehr an die Allmutter und befassen sich nur noch mit Kriegen, Saufen und Huren (S. 49). Ihre eigenen Kriegsverwundeten töten sie (S. 62). Die römische Schrift ist im Vergleich mit den Runen „seelenlos, starr, tot“ (S. 64). Römer sind kleine braunäugige Männer, die der der Seherin höchstens bis zur Schulter reichen und ihrem Blick nicht standzuhalten vermögen (S. 64). Römische Eigenart kann das Gesetz „einer reinen Seele“ nicht verstehen (S. 68). Römische Füße zertreten und mißachten die Mutter Erde. Römer sind seelisch verwildert und lernen, auf Kosten anderer zu leben (S. 78). Sie sind in Metall gehüllte Wesen, an Stelle ihres Herzens erscheint nur ein „gähnendes Loch“ (S. 112). Und schließlich übersetzt es die Autorin in eine zeitgemäße d.h. für die Gegenwart benutzbare politische Metasprache, wenn sie schreibt: „Mein halbes Leben lang ersehnte ich, dass wir uns eines Tages aus eigener Kraft von der Fremdherrschaft befreien würden, um uns selbst zu bewahren“ (S. 78).


Der Krieg als religiöse Pflicht des Germanen


Auffällig ist das Verhältnis zum Krieg: Einerseits wird Krieg aus pazifistisch-feministischer Sicht abgelehnt. Andererseits wird kriegerisches Handeln sehr euphorisch dargestellt und durch die Verbindung zur feministischen Spiritualität zu einer Art Gottesdienst erhoben:

Wehrhaftigkeit und gemeinschaftliche Verteidigung leiten über zum „inneren Widerstand“ (S. 20). Bereitschaft zum Kampf auf Leben und Tod (S. 34). Gekämpft werden soll für die Ehre und die Verteidigung von „Allheim“(S. 35). Ein spirituell getönter Griff zum Schwert für die „Heimstätten“ geht mit der Beschwörung der „ALLMUTTER“ einher (S. 36). Unwillkürlich erinnert man sich an den schönen wilhelminischen Spruch „Gott mit uns“. Die kampfbereiten „Gefolge“ bekunden den Kampfeswillen für ihr „Urwissen“ und ihre Bräuche – ein Kampf der Kulturen ist es, der hier beschrieben wird (S. 37 u. S. 59)). Gekämpft wird „nur Mann gegen Mann“ (S. 50). Mit Runen geschmückte Schutzschilde der Gefolgsleute sollen die Fremdherrschaft beenden (S. 51f.). Man kämpft „treu“ (S. 52). Männer, Frauen, Greise und Kinder sind bereit zu sterben, wenn das Schicksal es verlangt. Entschlossenheit, Siegeswille, Mut, Stolz, Kraft und Bereitschaft führen den Katalog germanischer Kriegstugenden an (S. 55). Ein aus „tausenden Kehlen“ erklingender Waffenschwur gemahnt an gewisse Massenveranstaltungen der jüngeren Zeitgeschichte ebenso wie die dabei auftretenden „Lichtteppiche“ (S. 58). Die matriarchale Kriegsbegeisterung unserer „Erzählerin“ ergießt sich in der farbenfrohen Phantasie, daß ein Römer nach dem anderen ohne Haupt darnieder sinkt (S. 62). Trotz aller matriarchalen Verurteilung des Krieges ist Adalbert von „überirdischen Mühen des Kampfes“ glänzend, glücklich und berauscht wie von himmlischer Liebe. Schließlich war die ALLMUTTER die ganze Zeit in und mit ihm (S. 67). Der Krieg als inneres Erlebnis ? Schließlich, trotz aller Stammeszentriertheit, ging es beim Sieg über die Fremden um die „Ordnung der Menschheit“ (S. 79) (Frage: An wessen Wesen soll hier die Welt genesen ?). Schuld am Krieg ist noch stets die Männerherrschaft, keine Mutter würde dem Töten und der Eroberung zustimmen (S. 96). Wie aber kommt dann der gute Adalbert zu seiner göttingeleiteten Kriegsbegeisterung (s. oben S. 67)?


Völkisches Vokabular und Ethnozentrismus

Am Auffälligsten aber ist die Sprache, von der wir ja bei einer gelernten Germanistin einen sorgfältigen und aufmerksamen Umgang erwarten dürften. Das völkische Vokabular schreitet hier nämlich in ungewohnter Gewandung einher: Archaisch-Völkisches verrät sich in Sprachspuren, die wie felserne Eilande von einer Gischt esoterischer Wortschwaden umspült werden. Das verleiht Ihnen eine Diskretion, die oberflächlich betrachtet gar nicht sofort ins Auge fällt.

Auf ihrer Internetseite spricht die Autorin beispielsweise davon, daß die Zerstörung des Tanfana-Tempels ein „brutaler … Schwertstoß in die germanische Seele“ gewesen sei6. Die Begrifflichkeit erinnert überdeutlich an die völkische Rede vom „Dolchstoß“ nach dem ersten Weltkrieg.

Es sind Begriffe wie „Heimstatt“, „Allheim“, die Verknüpfung von „Treue“ und „Ehre“, die ständige Beschwörung der Wendung „unsere Vorfahren“, die die einen völkisch-konservativen Sprachgebrauch signalisiert – der in Bezug auf die Kultur der germanischen Stämme nicht im mindesten historisch ist – aber gut in die völkische Ideologie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts paßt.

Und diese germanischen Stämme selbst, von deren Identität wir realhistorisch fast nichts wissen, zeigen eine erstaunliche Selbstbewußtheit. Die stehende Redeweise der Ich-Erzählerin lautet „Wir Germanen ...“ (S. 15), die bedingungslose Liebe wird als spezifische Aufgabe der „GERS-MANE-Gemeinschaft unserer Stämme“ (S. 25) deklariert.

Nur hier, in unserem angestammten Mutterland, sprudelt die Erdenseele so stark, glücklich und rein“, lautet das ethnozentrische Glaubensbekenntnis der Autorin (S. 19). Schließlich sei es das Mutterland, das für immer und ewig den Marsern gehört (S. 33), die Mutter Erde die Heimstatt der Stämme der Germanen seit Urzeiten (S. 10).

Diese Ethnomanie gipfelt im Grunde darin, den aus römischen Texten stammenden Begriff der Germanen mit einer theophoren Ableitung aus zwei Göttinnamen einer germanisch-feministischen Mythologie zu einem vorgeschichtlichen Identitätsbegriff germanischer Stämme selbst umzudichten („... die mit uns verbundenen Stämme der GERS-MANE-Gemeinschaft“ auf S. 33). Letztlich läßt Petra Baumgart auf ihrer Internetseite die Katze aus dem Sack, wenn sie deklamiert, daß „...ein Volk, das keine Angst vor dem Vergehen hat und sich seiner eigenen Kraft und Reife bewusst ist, kaum bezwungen werden kann?“7

Denn zwischen dem hier benutzten politischen Volksbegriff und dem, was man vorgeschichtlich unter „Stamm“ versteht, liegen ja nun wirklich Welten.


Verbindung von völkischer Ideologie und Feminismus


Eine weitere politische Relevanz hat natürlich der Matriarchatsgedanke, denn hier bringt die Autorin in der Tat eine Tendenz in die Deutung des Germanischen, die alle bisherigen völkisch-patriotischen Horizonte überschreitet. Allerdings geht es auch hier weniger um die gesellschaftliche Bedeutung des Ganzen. Zwar wird die Matrilokalität beschworen und gegen Kriegslüsternheit gewettert. Dann wird aber das Matriarchalische wie bei Hermann Wirth zum idealisierten Gegenpol des Fremden in Form der Römer (S. 19)

Und das Matriarchalische wird zum Garanten einer seit ewigen Zeiten unveränderlichen Gesellschaft, was auf einen bemerkenswert konsequenten Konservatismus hinausläuft: „Die Seherin leitet seit unvordenklichen Zeiten den Beginn des Kreislaufes des Lebens auf der Erde“ (S. 78).



Fazit und Ausblick


Es ergibt sich der Verdacht, daß die historische Phantasie hier nur dazu dient, gegenwärtige politische Ambitionen zu bestärken. Politischer Fanatismus in der Gegenwart kann dadurch legitimiert werden, indem man das Geschehen vorgeschichtlich verankert oder in die Vorgeschichte zurückprojiziert. Gleichzeitig kann man seine aktuelle politische Ambitioniertheit in Abrede stellen, indem man das Ganze als historisch weit zurückliegend deklariert.

Sicher kann man den völkisch-rassistisch-kriegsverherrlichenden Inhalt jeder einzelnen Textstelle wegdiskutieren oder als Ausrutscher einer naiven Autorin entschuldigen.

Alle Textbelege zusammen ergeben allerdings ein erdrückendes Gesamtbild, das auf völkische, rassistische und kriegsverherrlichende Zusammenhänge verweist.

Die Brisanz dieses Werkes ergibt sich aus seiner Attraktivität sowohl für völkisch-nationale Kreise als auch für unpolitische Neuheiden auf der spirituellen Suche.

Denn warum wohl erwähnt die Autorin am Anfang ihres Buches, sie sei von „wahrhaftigen“ Freunden geistig und materiell unterstützt worden, deren Namen „nicht von Belang“ seien ? (S. 3)

Petra Baumgart: Tanfana, Lichtenau 2012 – ISBN 978-3-9815055-7-3




21.08.2012 Matthias-Wenger@web.de











































Anmerkungen:

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Tanfana (Seitenaufruf am 13.08.2012)


2Belege hierfür bei Guido von List: Das Geheimnis der Runen, Wien 1908 – neu herausgegeben von „Armanen-Verlag Adolf Schleipfer“, Ammerland 1981. Um nachzuvollziehen, wie spekulativ, unauthentisch und rassistisch diese Deutungen sind, siehe: Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne, Freiburg im Breisgau 1999, S. 88ff.

3Günter Heinecke hat in seinem Vortrag auf der Jahrestagung des Forschungskreises Externsteine e.V. 2012 mit dem Titel „Das germanische Matriarchat als Impulsgeber des Erinnerns an die Aufstiegskräfte des weiblichen Christus“ den geschichtsphilosophischen Unterbau für diesen neuen Mythos gebildet.


4Joel Kramer und Diana Alsted: Die Guru Papers – Masken der Macht, Frankfurt am Main 1995 – s. insbesondere S.317ff.


5Jan de Vries: Die geistige Welt der Germanen, Darmstadt 1963 – insbesondere S. 12ff.


6 http://www.tanfana.de/html/wer-ist3.html (Seitenaufruf 20.08.2012)


7 http://www.tanfana.de/html/wer-ist3.html (Seitenaufruf 08.08.2012)

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