Brockes - ein Wegweiser zu natürlicher Spiritualität

Bei meinen germanistischen Umtrieben stieß ich auf diesen freien Geist der frühen Aufklärung. Er ist einer jener Dichter und Denker die nicht dem Vorurteil einer unspirituell-vernunftlastigen Aufklärung entsprechen und u.a. deshalb zusammen mit der Physikotheologie aus dem Blickfeld verschwunden sind.

Brockes (1680-1747) war Hamburger Ratsherr, der ganz pragmatisch Lobgedichte auf Fürsten verfaßte und sich ansonsten bedeckt hielt. Seine neben seiner politischen Tätigkeit verfaßte Naturlyrik spricht aber eine andere Sprache. Hier äußert er seine Kritik an der damals mächtigen christlichen Orthodoxie gerade durch seine politische Zurückhaltung. Indem er sich auf Naturbeschreibungen beschränkt, die ihn als Schlußfolgerung zu einem kirchenunabhängigen Lob Gottes kommen lassen, zog er sich den Haß des Geistlichen Ministeriums (Name der Leitung der orthodox - lutherischen Kirche!) zu. Immer wieder sorgte er durch geschickte Diplomatie dafür, daß Radikale christlichen Glaubens keinen zu großen Einfluß in Hamburg gewannen.
Es wäre verfehlt, Brockes als einen Vorreiter der Neuheiden zu bezeichnen, und seine „Gotteskeule" am Schluß fast jeden Gedichtes ließ mich regelmäßig erschaudern. Aber Brockes vertrat in seinen lyrischen Gedichten...autsch, hier trifft mich die Geißel des germanistischen Über- Ichs.... Also: Das von Brockes entworfene lyrische Ich seiner Naturgedichte vertritt ein
freimaurerisch - hermetisch inspiriertes Christentum, das mir näher steht als das Heidentum manches Edda-Exegeten.
Durch genaue Beobachtungen der ihn umgebenden Natur, die heute noch jede/r teilen kann, kommt er zu einer Spiritualität, die ihren Kern in der Immanenz hat und sich vollständig von äußeren Autoritäten (In seinem Fall: Kirchenmännern) emanzipiert. Erfrischend !
Es lohnt sich einfach, seinen schon damals kritisierten, verschrobenen Stil zu ignorieren und sich von ihm zur Beobachtung inspirieren zu lassen:
Neulich sah ich, mit ergetzen/ eine kleine Fliege sich/auf ein Erlen-Blätttchen setzen/ Deren Form verwunderlich/ von den Fingern der Natur/ so an Farb´ als an Figur/ und an bunten Glantz gebildet/ Es war ihr klein Köpfgen grün/ und ihr Cörperchen vergüldet/ Ihrer klaren Flügel Par/ Wenn die Sonne sie beschien/ färbt sich rot fast wie Rubin/ das, indem es wandelbar/ auch zuweilen bläulich war. Liebster GOTT wie kann doch hier/ Sich so mancher Farben Zier/ auf so kleinem Platz vereinen/und mit solchem Glantz vermehlen/ Das sie wie Metallen scheinen/[...]/Hast du also, kleine Fliege/ Da ich mich an dir vergnüge/ selbst zu GOTTHEIT mich geleitet.
Die selben Fliegen habe ich im Garten, und mir boten sie auch schon Grund zur Kontemplation. Und: Jener Mensch hat vor 250 Jahren dasselbe gesehen wie ich! Und: Er kommt durch so etwas wie eine Fliege zur GOTTHEIT!
Zu welcher Gottheit auch immer, aber das ist genau der Weg, der mich zur Göttin führt. Das ist Natur-Religion.
Apropos GOTTHEIT. Brockes meinte immer den christlich Gott. Aber über die Erde schrieb er immerhin: Kurtz, es ist der Bauch der Erden/ Ganz mit Wundern angefüllt/ Und kann nicht gezählet werden/ Was ihr dunkler Schoß verhüllt. / Viele Weisen, die drauf achten,/ Und die Seltenheit betrachten/ Geben ganz erstaunet für/ Sie sey ein beseeltes Thier./  Dem zu Folge sie denn schliessen/ Dieser Strom und Quellen Fluth/ Sey des Erden-Körpers Blut/ [...]/ Ihres Körpers Fleisch soll Leimen [Lehm]/ Ihre Knochen, Fels und Stein/ und das Laub auf Sträuch´ und Bäumen/ ihre Zier und Haare sein;/Unsre Luft, die aus dem Boden/ stetig duftet sei ihr Oden/ Ihr Geseufz sey Sturm und Wind/ So man oft mit Furcht empfindt.

Derzeit kann man in einigen Teilen Deutschlands etwas bewundern, das Brockes ebenfalls beschrieb:
Dieß sah´ ich jüngst mit Lust, zur hellen Mittagszeit,
In einer reinen Heiterkeit,
Es gläntzt´ und schien das Feld, als wären Berg-Crystallen
Darüber hergelegt. Die Landschaft glimmt und glüht,
Wann unser Blick den Strahl der Sonnen rückwärts prallen,
Und doppelt heller gläntzen sieht.
Dieß that den Augen wohl. Allein,
An andern Orten ließ uns eben dieser Schein
Ein traurigs Schauspiel sehn.
[...]
Die Erde selber war morastig, häßlich naß,
Ihr morscher Cörper schien zu faulen und zu gähren,
Ihr Fleisch in zähen Schlamm, in Wust ihr Nahrungs-Safft,
Und ihre Hauth in Koth, sich zu verkehren.
[...]
Muß unsre Mutter auch so gar
Die Fäulnis und Verwesung leiden !
Rieff ich betrübt. Allein,
Wie bald verschwand das Trauren ! da der Schein
Und Glanz der Wahrheit mich ein besseres belehrte:
Daß diese Fäulnis sich in Fruchtbarkeit,
Die Häßlichkeit in Schönheit sich verkehrte:
Und daß sie, in gar kurtzer Zeit,
Durch diese schwartz- und scheußliche Figur,
Nach weiser Ordnung der Natur,
zu einer Wunder-schönen Pracht,
Zu einem lieblichen beblühmten Stand gebracht,
Und unausdrücklich schön geschmücket würde werden.

Das wäre dann ein geeigneter Augenblick, den Compi auszuschalten, sich mit Mütze und Schal zu bewaffnen und in die wirkliche Welt hinauszugehen...

Eine schöne Imbolczeit wünscht
Webewölfin

Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott - Naturlyrik und Lehrdichtung; Ausgewählt und herausgegeben von Hans-Georg Kemper, Stuttgart 1999 -
ISBN 3-15-002015-8 - Reclam, 13.00 DM